Augustinus (354-430), Bischof von Hippo (Nordafrika) und Kirchenlehrer schreibt in seinem Kommentar zum 1. Johannesbrief, § 8,10 folgenden wunderbaren Text über die Liebe, die wir zu unseren Mitmenschen haben sollen und die Liebe Gottes zu uns Sündern:

Indem du deinen Feind liebst, wünscht du, er sei dir ein Bruder. Nicht was er ist, liebst du an ihm, sondern was du willst, dass er sein soll. Stellen wir uns einen Klotz aus Eichenholz vor. Ein kundiger Bildhauer sieht dieses im Wald gefällte Stück Holz und es gefällt ihm. Ich weiß nicht, was er daraus herstellen will, aber ihm gefällt dieses Stück Holz nicht, damit es so bleibe wie es ist. Seine Kunstfertigkeit lässt ihn erkennen, was aus diesem Holz werden kann; seine Liebe gilt nicht dem rohen Holz, er liebt das, was er daraus herstellen wird, nicht das rohe Holz. So hat uns Gott geliebt, als wir noch Sünder waren. Er sagt ja: „Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.“ Hat er uns als Sünder geliebt, damit wir etwa Sünder blieben? Der göttliche Bildhauer hat uns als klobiges, aus dem Wald kommendes Holz gesehen, und was er im Blick hatte war das Kunstwerk, das er daraus herstellen würde, nicht das Holz oder den Wald. So auch du: du siehst deinen Feind sich dir entgegenstellen, dich mit beißenden Worten bedrängen, dich hart angehen, dich mit seinem Hass verfolgen. Du aber sieh nur darauf, dass er ein Mensch ist. Du siehst alles, was er dir angetan hat und gleichzeitig erkennst du, dass er für Gott geschaffen worden ist. Dass er ein Mensch ist, ist das Werk Gottes; sein gegen dich gerichteter Hass, ist sein eigenes Werk. Und was sagst du in deinem Inneren? „Herr, sei ihm gnädig, vergib ihm seine Sünden, verleihe ihm Ehrfurcht vor dir, ändere du ihn.“ Du liebst an diesem Menschen nicht, was er ist, sondern was du willst, dass er sein soll. Deshalb liebst du, wenn du deinen Feind liebst, deinen Bruder. (zitiert aus Evangelium Tag für Tag)