Nach Teil 10 (Die Söhne Noahs) folgt hier der Teil 11 aus dem “Praktischen Kommentar zur Biblischen Geschichte” (1913) von Dr. Friedrich Justus Knecht:

Es wird erzählt, dass die Menschen einen Turm zu Babel gebaut und danach sich zerstreut haben und in Abgötterei gefallen sind.

Erzählung und Erklärung

Von den Bergen Armeniens zogen die Nachkommen Noahs in eine große,
fruchtbar Ebene1 hinab. Sie wurden bald sehr zahlreich, und es war nur eine Sprache unter ihnen.

Gott wollte, dass die Menschen sich über die Erde hin verbreiteten2. Sie aber sprachen trotzig: ,,Kommt, wir wollen uns eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, und unsern Namen berühmt machen, damit wir nicht zerstreut werden in alle Länder!«3 Da verwirrte Gott die Sprache der Menschen4, so dass keiner mehr die Rede des andern verstand. Sie mussten aufhören zu bauen, und die Stadt, welche sie angefangen hatten, wurde Babel5 genannt, d. h. Wirrwarr6.

Nun zogen sie auseinander und wanderten in andere Gegenden. So entstanden verschiedene Völker und Reiche.

Von dieser Zeit an nahm die Sünde wieder überhand7. Die Menschen wurden allmählich so blind in ihren Herzen, dass sie Gott nicht mehr erkannten8. Sie fielen in Abgötterei und beteten Geschöpfe an statt des Schöpfers, ja sogar leblose Bilder. Die Lasterhaftigkeit wurde jetzt noch größer, denn Gott überließ die Götzendiener ihren bösen Neigungen9.

Auslegung

Die Abgötterei ist ein Abfall von Gott und deshalb eine große Sünde gegen das 1. Gebot. Sie ist auch unvernünftig und töricht und ein trauriger Beweis für die schlimmen Folgen der in der Menschheit fortwuchernden Erbsünde. Wie heißt das 1. Gebot? (,,Du sollst keine fremde Götter neben mir haben etc.“ Vgl. Nr 37.) Wodurch sündigt man (noch ferner) gegen die schuldige Gottesverehrung? (*278.)10

Notwendigkeit der Gnade. Gott überließ die Götzendiener ihre bösen Neigungen, und so sind sie in schlimme Laster versunken. Weil infolge der Erbsünde Begierlichkeit und Neigung zum Bösen im Menschen sich regen, so kann der Mensch nur dann die Gebote halten und das Gute tun, wenn Gott ihm mit seiner Gnade beisteht. Da nun Gott die Heiden, welche sich von ihm abgewandt hatten, sich selbst und ihren bösen Neigungen überließ und ihnen nicht mit seiner Gnade zu Hilfe kam, so wurden sie von ihren entfesselten Leidenschaften zu den schändlichsten Lastern hingerissen. Ist uns die wirkliche Gnade notwendig? (447.)11

Stolz (Hoffart) (*414)12. Auch aus dieser Geschichte erseht ihr, wie der Abfall von Gott mit dem Stolz (der Hoffart) seinen Anfang genommen hat. Zur Zeit des Turmbaues hatten sich die Nachkommen Noahs bereits aus einige Millionen vermehrt. Diese wollten Gott zum Trotz im Vertrauen auf ihre Kraft, ihre Zahl und ihre Einigkeit eine große Stadt mit einem zum Himmel reichenden Turm bauen. Dieser sollte nicht ein herrlicher Tempel zur Ehre Gottes des Schöpfers und Erhalters sein, sondern ein Denkmal menschlicher Macht und Größe. Sie gaben Gott nicht mehr die Ehre, sie wollten es nicht mehr anerkennen, dass sie alles von Gott hatten und ohne ihn nichts vermochten, deshalb wollten sie wider Gottes Willen den himmelhohen Bau ausführen und sich dadurch berühmt machen und ein Einigungsmittel schaffen für alle Zeiten. Der Stolz (die Hoffart) hat sie also zum Trotz gegen Gott und zum Abfall von Gott verleitet.

An Gottes Segen ist alles gelegen. Wie wahr dieser Spruch ist, zeigt uns die Geschichte des Turmbaues zu Babel. Wodurch vereitelte der Herr das übermütige Unternehmen? … »Wenn der Herr das Haus nicht baut, so arbeiten die Bauleute umsonst « (Ps 126, 1).

Notwendigkeit der übernatürlichen Offenbarung. Die Mehrzahl der Menschen fiel gegen Ende des 3. Jahrtausends vor Christus in Abgötterei; doch gab es immer noch einzelne Gerechte, welche mit ihren Familien den Glauben an den wahren Gott und seine Offenbarung bewahrten, z. B. Abraham, Melchisedek, Hiob u. a. Aber auch in diesen Familien wäre nach und nach der wahre Glaube verloren gegangen, wenn Gott sich nicht aufs neue geoffenbart hätte, wie ihr in den folgenden Geschichten erfahren werdet. Die übernatürliche Offenbarung war notwendig, sonst wäre den Menschen auch die natürliche Erkenntnis Gottes ganz abhanden gekommen.

Die Strafe der Trennung war zugleich eine Wohltat für die Menschen. Wenn diese nämlich noch länger auf engem Raum beisammen geblieben wären, so würden sie ganz sicher einander durch Streit und Krieg aufgerieben haben. Vgl. den Streit zwischen den Hirten Abrahams und Lots (Nr. 12 des A. T.).

Ursachen der Gottlosigkeit. Wie kam es denn, dass vernünftige Menschen so tief sinken und der Torheit des Götzendienstes sich hingeben konnten? Hat sich denn Gott ihnen nicht zu erkennen gegeben? Die Antwort auf diese Frage findet ihr sicher, wenn ihr an jene Frage des Katechismus euch erinnert: Wie hat sich Gott den Menschen zu erkennen gegeben? (53.)13 … Die Offenbarung durch die sichtbare Welt und durch die Stimme des Gewissens ist, wie ihr wisst, die natürliche Offenbarung; die Offenbarung durch die Patriarchen und Propheten etc. ist die übernatürliche Offenbarung. Auch die Menschen zur Zeit des Turmbaues hatten eine übernatürliche Offenbarung, denn Noah hatte seinen Nachkommen die Offenbarungen Gottes von Adam an getreu überliefert. Aber dadurch, dass die Menschen immer mehr ihren bösen Neigungen folgten, wurde ihr Glaube schwach; sie glaubten wohl noch, aber ihr Glaube war nicht lebendig, sie lebten, als ob kein Herr und Gott über ihnen wäre, und verloren zuletzt ganz den (übernatürlichen) Glauben. Hätten sie denn Gott nicht durch ihre Vernunft ans der natürlichen Offenbarung erkennen können? Doch; denn »das Unsichtbare an ihm (Gott) wird seit Erschaffung der Welt durch die Werke geistig erschaut, nämlich seine ewige Macht und Göttlichkeit, so dass sie (die Heiden) keine Entschuldigung haben« (Röm 1,20). Aber sie verloren auch die natürliche Gotteserkenntnis, weil ihr Herz und ihr Wille verdorben war, so dass sie den wahren, heiligen und gerechten Gott nicht mehr erkennen wollten. Nachdem ihr Herz sich von Gott abgewandt hatte, wurde ihre Vernunft durch die bösen Leidenschaften immer mehr verblendet (blind gemacht), so dass sie in die schlimmste Unwissenheit (in Religionssachen) und in die Torheit (Dummheit) des Götzendienstes gerieten und sich unter die Tiere erniedrigten, indem sie diesen göttliche Ehre erwiesen. Unterlassung der Gebete, Hochmut und Lasterhaftigkeit führen auch jetzt noch manche Menschen zum Unglauben und zur Gottlosigkeit. Viele Christen, die noch Religion zu haben behaupten, haben sich von dem heiligen und lebendigen Gott der Offenbarung losgesagt und ,,schaffen sich Gott nach ihrem Ebenbild« – einen Götzen ein Erzeugnis der Phantasie, ein Nichts.

Es gibt auch ein modernes Heidentum. Die Natur ist ein Spiegel der Gottheit. Aus ihrer Größe und Schönheit, ihren Gesetzen und ihren Gaben sollen wir die unermessliche Größe und Macht, die unbeschreibliche Schönheit, die unerforschliche Weisheit und die unergründliche Güte unseres Gottes erkennen und deshalb Gott in dankbarer Liebe anbeten. Wenn aber manche »Christen« die Natur anstatt Gottes verehren, an Sonn- und Feiertagen den gebotenen Gottesdienst versäumen, um Ausflüge zu machen und Naturschwärmerei zu treiben, so ist das eine neue Art des Heidentums, ein Abfall vom lebendigen Gott und führt zur vollständigen Religionslosigkeit. »Die Pietät gegen das Universum«, die nach Fr. David Strauß noch allein den Ungläubigen bleibt, ist keine Pietät und keine Religion, sondern nur ein Deckblatt der Irreligiosität, der vollendeten Gottlosigkeit.

Wiedervereinigung der Menschheit durch die Kirche. Im Gebet zum Heiligen Geist sprecht ihr: »Komm, Heiliger Geist…, der du die Völker aller Zungen in der Einheit des Glaubens versammelt hast« (Kat. S. x). Wo sind die Völker aller Sprachen in Einheit des Glaubens versammelt ? In der katholischen Kirche, denn alle katholischen Christen der ganzen Erde haben denselben Glauben, dieselbe Hoffnung und dieselbe Liebe. Diese innere Einigkeit der Gesinnung ist ausgedrückt durch die eine (lateinische) Kirchensprache. In der katholischen Kirche, die vom Heiligen Geiste geleitet wird, vollzieht sich also das Gegenteil von dem, was bei der babylonischen Verwirrung geschehen ist. Bei dieser sind die Menschen nach Religionen, Sprachen und Rassen geschieden und zerstreut worden; in der Kirche werden die Menschen aller Länder und Zungen durch den Heiligen Geist, welchen Christus am Pfingstfest gesandt hat, in Einheit des Glaubens und der gottesdienstlichen Sprache versammelt. Wann hat diese Sammlung der Völker ihren Anfang genommen? Bei der Herabkunft des Heiligen Geistes am Pfingstfest (s. Nr 93 des N. T.). Da waren Menschen aus allerlei Völkern beisammen, die verschiedene Sprachen redeten, und doch verstanden sie alle die Sprache (Predigt) der Apostel, und 3000 von ihnen nahmen den christlichen Glauben an. Da wurde auch eine Stadt gebaut, welche auf Erden steht und bis zum Himmel reicht, in welcher alle dieselbe Sprache, d. h. denselben Glauben und dieselbe Wahrheit etc. haben, an welcher Gott sein größtes Wohlgefallen hat – was ist das für eine Stadt? (Die Kirche.) Ist die römisch-katholische Kirche einig … katholisch? (*19014 und *192.15) – Lied: Er kam herab vom höchsten Thron etc. (Psält. 192.)

Anwendung

Es gibt jetzt noch ca. 800 Millionen Heiden auf Erden, welche Gott und seinen eingeborenen Sohn Jesus Christus nicht kennen. Gebet für die Belehrung der Heiden. Missionsvereine, besonders das Werk der heiligen Kindheit und der Franziskus Xaveriusverein.

Auch unsere Vorfahren waren Heiden und sind erst durch die Glaubensboten (Bonifatius etc.), welche die römische Kirche zu ihnen schickte, zum christlichen Glauben bekehrt worden. Danke Gott für den heiligen Glauben und bekenne ihn durch Wort und Tat. Bete inständig zum Heiligen Geist, er möge dir und den Deinigen das Licht des Glaubens erhalten! – Bonifatiusverein.

Fortsetzung folgt.

1Nämlich in die Ebene zwischen Euphrat und Tigris (s. Die erste Karte!).
2„Erfüllt die Erde!“ (G. Nr. 8)
3Sie wollten ein ungeteiltes Weltreich gründen, dessen Mittelpunkt und Feste die Stadt mit dem hohen Turme sein sollte.
4d. h. Gott ließ verschiedene Sprachen unter ihnen entstehen. Bisher hatten die Menschen nur eine Sprache, weil alle von Adam und Eva (bzw. von Noah) abstammten, dieselbe Gesinnung und denselben Glauben (an den lebendigen Gott) hatten. Diese eine Sprache (die Ursprache) hätte sich im Laufe der Zeit mit der Ausbreitung der Menschen, ihrer geistigen Spaltung, ihrem Abfall vom wahren Gott und ihrer Trennung in verschiedene Völkerschaften von selbst in verschiedene Sprachen zerteilt, wie ja auch die körperliche und die geistige Entwicklung der Menschen in den verschiedenen Gegenden sich nach und nach verschiedenartig gestaltet hat. Aber zur Strafe für ihren übermütigen Trotz und um sie nun zum Auseinandergehen zu nötigen, ließ Gott durch eine wunderbare Einwirkung jetzt schon, da sie noch ein Volk bildeten und am Turme bauten, verschiedene Sprachen unter Ihnen entstehen. so dass sie einander nicht mehr verstanden, den Bau aufgeben und sich trennen mussten
5Oder (griechisch) Babylon (am Euphrat). Unter den Ruinen dieser einst so großen Stadt findet sich jetzt noch ein Turm mit gewaltigem Unterbau, welcher für einen Überrest des vor der Sprachverwirrung gebauten Turmes gehalten wird.
6Warum wurde die Stadt so genannt ? (Weil bei ihrem Bau die Verschiedenheit oder die Verwirrung der Sprachen ihren Anfang genommen hat.)
7d. h. die Sündhaftigkeit und Gottvergessenheit nahm schnell zu, so dass die Zahl der Lasterhaften immer größer, die Zahl der Gerechten immer kleiner wurde. Warum heißt es: »wieder«? (Wie in der Zeit vor der Sündflut.)
8Weil sich die Menschen ganz ihren bösen Leidenschaften überließen und durch ihre Sünden immer weiter von Gott entfernten, so erkannten sie nicht mehr den wahren, unsichtbaren Gott, sondern beteten Geschöpfe (z. B. die Sonne, einzelne Menschen, Tiere) und sogar von Menschenhänden gemachte Bilder an. Wie nennt man die Anbetung falscher Götter? (Abgötterei oder Götzendienst.) Und wie nennt man die Menschen« welche falsche Götter anbeten ? (Götzendiener oder Heiden.)
9Als in Kain die Leidenschaften des Neides und des Hasses zu herrschen anfingen, hat ihn da Gott ungewarnt diesen Leidenschaften überlassen ? … Und als sich die Nachkommen Kains, die Kinder der Menschen, immer mehr von Gott abwandten, da hat Gott sie durch einen heiligen Mann (Henoch) zur Buße und Umkehr eingeladen. Und noch unmittelbar vor der Sintflut (Sündflut) hat Gott den gerechten Noah auftreten und das kommende Strafgericht verkünden lassen. Damals also hat Gott die Sünder gewarnt, er hat sich ihnen auf außerordentliche Weise zu erkennen gegeben. Als aber die Menschen nach dem babylonischen Turmbau ganz von Gott abfielen, da hat der Herr sie nicht, wie zur Zeit der Sintflut (Sündflut), vertilgt, aber er hat sich ihnen auch nicht mehr auf außerordentliche Weise geoffenbart. er hat sie sich selbst und den bösen Neigungen, die in ihnen herrschten, überlassen. Weil sie Gott verlassen hatten, so hat Gott auch sie verlassen. Die Menschheit sollte erfahren, wohin sie komme ohne Gott, d. h. wenn sie von Gott abgefallen ist.
10Kat.-Nr. *278: Man sündigt noch ferner gegen die schuldige Gottesverehrung 1) durch Vernachlässigung der schuldigen Gebete; 2) durch Abgötterei; 3) durch Aberglauben; 4) durch Gottesraub; 5) durch Simonie oder geistlichen Wucher.
Man sündigt durch Abgötterei, wenn man einem Geschöpf göttliche Ehre erweist, wie die Heiden taten. – Man sündigt durch Simonie oder geistlichen Wucher, wenn man geistliche Dinge kauft oder verkauft, wie Simon der Zauberer es tun wollte.
11Kat.-Nr. 447: Die wirklich Gnade ist uns so notwendig, dass wir ohne sie nicht das geringste zu unserem Heil anfangen, fortsetzen und vollenden können.
„Gott ist es, der in euch sowohl das Wollen als das Vollbringen bewirkt.“ (Phil. 2,13)
12Kat.-Nr. *414: Man sündigt durch Stolz (Hoffart), wenn man sich selbst überschätzt, Gott die schuldige Ehre nicht gibt und den Nächsten verachtet.
„Der Stolz (die Hoffart) ist vor Gott und den Menschen verhasst…Sie ist der Anfang aller Sünde.“ (Sir. 10,7.15.)
Luzifer, Nebukadnezar, der Pharisäer im Tempel
13Kat.-Nr. 53: Gott hat sich den Menschen auf verschiedene Weise zu erkennen gegeben, nämlich 1) durch die sichtbare Welt; 2) durch die Stimme des Gewissens; 3) vorzüglich durch die übernatürliche Offenbarung
1) „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und das Firmament verkündet die Werke seiner Hände.“ (Ps. 18,2)
2) „Die Heiden zeigen, dass das Werk des Gesetzes in ihre Herzen geschrieben ist, indem ihr Gewissen ihnen davon Zeugnis gibt.“ (Röm. 2,15)
3) „Niemand hat Gott je gesehen: der eingeborene Sohn, der im Schoß des vaters ist, er hat es uns erzählt.“ (Joh. 1,18)
Nutzanwendung. „Alle Tage deines Lebens habe Gott in deinem Herzen, und hüte dich, je in eine Sünde zu willigen.“ (Hiob 4,6)
14Kat.-Nr. *190: Die römisch-katholische Kirche ist einig, weil sie allzeit und überall
1) denselben Glauben,
2) dasselbe Opfer und dieselben Sakramente
3) ein gemeinsames Oberhaupt hat
15Kat.-Nr. *192: Die römische Kirche ist katholisch, d.h. allgemein
1) weil sie von Christus durch alle Zeiten fortbestanden hat;
2) weil sie sich über alle Erdteile ausgebreitet hat;
3) weil sie sich noch immer weiter ausbreitet.