Nach dem Kapitel “Die erste Missionsreise des heiligen Paulus” gibt es heute das achte Kapitel aus dem Buch “Geschichte der Kirche Christi” von DDr. Johannes Schuck aus dem Jahr 1938 (Echter Verlag):

Der Vorstoß in das Heidentum war geglückt. Jesus lebte in Zypern, in Pamphylien und Galatien. Das auserlesene Werkzeug hatte sich bewährt. Zwar hatte Paulus mehr als einmal den Staub von den Füßen schütteln und fliehen müssen, aber er war wieder gekommen; er war unter den Steinwürfen vor Lystra zusammengebrochen, aber er war wieder aufgestanden; kurz, „Paulus und Barnabas hatten”, wie die Apostelgeschichte sagt, „das Werk vollbracht, zu dem sie von der Gnade Gottes übergeben worden waren” (Apg 14, 25).

In Antiochia, wohin sie zurückgekehrt waren, tauchte aber schon bald  eine neue Sorge auf. Die Angelegenheit mutet uns jetzt vielleicht fremdartig an; aber in Wirklichkeit hing daran die ganze Entwicklung des Christentums und ihre Lösung war richtunggebend für alle Zeiten. Es war die Frage nach dem Verhältnis von Christentum, Judentum und Heidentum.

Juden waren Christen geworden und Heiden waren Christen geworden. Sie kamen von entgegengesetzten Seiten zu Christus hin und sollten sich nun in Christus zusammenfinden. Ihre Herkunft aber konnten sie nicht verleugnen. In den Augen der Judenchristen hatten die Heidenchristen immer noch etwas Heidnisches an sich, solange sie vorher nicht auf das jüdische Gesetz verpflichtet waren. Den Juden hatte eben auch das Taufwasser ihr jüdisches Denken und Fühlen nicht spurlos abgewaschen. Gewiß, es war menschlich und verständlich, daß sie ihre althergebrachten religiösen Anschauungen und Gebräuche mit in das Christentum hineinzunehmen suchten und einen gewissen Vorrang vor den Heidenchristen für sich beanspruchten. Die erste Christengemeinde war ja in den Mauern Jerusalems entstanden, die ersten Jünger waren aus dem Judentum gekommen, die Apostel waren Söhne Israels und gingen auch nach der Herabkunft des Heiligen Geistes zum Gebet immer noch in den Tempel.

Solange die Judenchristen nur jüdische Gebräuche beobachteten, die mit der Offenbarung Christi nicht in Widerspruch standen, und solange sie das Heil nicht von ihren jüdischen Gebräuchen, sondern einzig von dem Kreuzestod Jesu erwarteten — gut! Sobald sie aber ihre Gebräuche als Wesensbestandteil des christlichen Lebens ansahen und die von ihren Vätern ererbten und jetzt noch beobachteten Gesetz als auch für die Heidenchristen verbindlich erklärten, sobald sie darlegten, der Weg zum Christentum führe über das Judentum und niemand könne ein Christ sein, der nicht auch die Zeichen der Kinder Israels an sich trage — in diesem Augenblick mußte eine grundsätzliche Klärung geschaffen werden. Der Augenblick kam.

Eines Tages trafen nämlich einige Judenchristen aus Palästina in Antiochia ein und sagten zu den Heidenchristen: „Wenn ihr euch nicht nach dem Brauch des Moses beschneiden laßt, könnt ihr nicht zum Heil kommen” (Apg 15, 1). Da waren aber auch schon Paulus und Barnabas auf dem Plan und wehrten diese Zumutung von den Heidenchristen ab. Sie hatten keinen leichten Stand; denn die Judenchristen wollten ihre Forderung nicht preisgeben. Aber auch Paulus und Barnabas gaben nicht nach; durch den Anspruch der Judenchristen schien ihnen der ganze Erfolg der Heidenmission in Frage gestellt.

Wer konnte da entscheiden? Doch nur die Apostel. Also „beschloß man, Paulus und Barnabas nebst einigen anderen aus ihrer Mitte sollten wegen dieser Streitfrage nach Jerusalem zu den Aposteln und den Vorstehern hinaufziehen” (Apg 15, 2).

Wo immer diese Abordnung hinkam, erzählte sie von den schönen Erfolgen der ersten Missionsreise und überall freute man sich darüber, erst recht in Jerusalem. Aber hier in Jerusalem verdichtete sich auch der Widerstand gegen Paulus und Barnabas; hier standen Christen auf, die ehedem zu den Pharisäern, also zu den hartnäckigsten und kleinlichsten Verteidigern des mosaischen Gesetzes gehört hatten, und verlangten geradezu: „Man muß die Heiden beschneiden und anhalten, das Gesetz des Moses zu beobachten” (Apg 15, 5). Da versammelten sich die Apostel, die in Jerusalem weilten, überlegten und berieten. Christus, das Haupt seines geheimnisvollen Leibes, der Kirche, schaltet ja die Tätigkeit der Glieder nicht aus und der Heilige Geist, der in die Wahrheit einführt und die Unfehlbarkeit in Glaubens- und Sittenlehren verbürgt, entbindet keineswegs die sichtbare Kirche von der geistigen Arbeit. So war es schon im Jahre 50  bei dieser ersten Kirchenversammlung, dem Apostelkonzil.

Nach gründlicher Untersuchung und reiflicher Überlegung der Frage trat der heilige Petrus auf und erklärte, daß Gott den ehemaligen Heiden und den ehemaligen Juden in gleicher Weise den Heiligen Geist gegeben habe. Wenn die Last des mosaischen Gesetzes schon für viele Juden zu schwer gewesen sei, um wieviel mehr müßte sie es für die Heiden sein. Judenchristen und Heidenchristen würden auf gleiche Weise selig, nämlich durch die Gnade des Herrn Jesus Christus.

Kein Widerspruch erhob sich: die Apostelgeschichte berichtet: „Die ganze Versammlung schwieg” (Apg 15, 12). Wenn Petrus als der Oberhirte spricht, dann schweigt in Ehrerbietung die Kirche.

Um jedoch die Verschmelzung der Judenchristen mit den Heidenchristen und ihr Zusammenleben zu erleichtern, beantragte der Apostel Jakobus der Jüngere, der seit der Abreise des heiligen Petrus aus Judäa Bischof von Jerusalem war und wohl am meisten die Schwierigkeiten des Zusammenlebens von Juden- und Heidenchristen zu fühlen hatte, die ehemaligen Heiden sollten Rücksicht auf die Judenchristen nehmen und sich besonders einiger Handlungen und Gebräuche enthalten, an denen die ehemaligen Juden Anstoß nahmen. Zum Teil waren das Handlungen, die jedem Christen an und für sich schon verboten waren, auf deren Vermeidung das Judentum aber von jeher besonderen Wert legte, weil sich darin die Heiden am meisten umwandeln mußten; es waren die Teilnahme an den Mahlzeiten aus Götzenopfern und die bei den Heiden allgemeine, schwere Unzucht. Zum andern Teil waren es rein jüdische Gebräuche, zu denen die aus dem Heidentum Bekehrten nicht kraft des allgemein verbindlichen Willens Christi verpflichtet waren, deren Befolgung aber die Apostel für eine bestimmte Zeit und ein bestimmtes Land anordnen konnten, um Schwierigkeiten und Reibungsflächen in den ersten Christengemeinden auszuschalten und eine friedliche Entwicklung zu fördern; das war die Enthaltung vom Blutgenuß und dem Genuß des Fleisches erstickter Tiere. Dieser Beschluß wurde Paulus und Barnabas schriftlich mitgegeben, als sie mit zwei Jüngern des Herrn namens Judas und Silas nach Antiochia zurückkehrten.

Nein, der Weg zu Christus lief für die Heiden nicht über Moses. Der erste Abschnitt des Kampfgebietes war schon früher mit der Aufnahme des Hauptmannes Kornelius erobert; auch die Heiden konnten, das war damals klar geworden, so gut wie die Israeliten Kinder des Reiches Gottes werden. Jetzt ging der Kampf um den zweiten Abschnitt: die Juden durften sich nicht zwischen die Heiden und Christus stellen, freie Bahn für alle! Grundsätzlich war der Kampf schon mit dem Apostelkonzil entschieden; im wirklichen Leben nahmen die Apostel, wo es dem Frieden zu dienen schien und ohne die Heiden zu verlegen geschehen konnte, noch Rücksicht auf die Juden. Sogar Paulus, wie wir später sehen werden; um so leichter ist es bei Petrus zu begreifen.

Nicht lange nach dem Apostelkonzil kam nämlich auch der heilige Petrus nach Antiochia. Wenn er jetzt mit den Heidenchristen der Stadt zusammen war, kümmerte er sich nicht um die alttestamentlichen Speisegesetze. Freilich, als ihm das die Judenchristen aus Palästina übel nahmen, mied er gemeinschaftliche Mahlzeiten mit den Heidenchristen, um nach keiner Seite Anstoß zu erregen. Das war eine rein persönliche, gutgemeinte Rücksichtnahme; aber sie konnte gegen die Heidenchristen ausgebeutet werden, zumal nach seinem Beispiel auch Barnabas und andere Judenchristen den Verkehr mit den Heidenchristen aufgaben. Darum sprang der heilige Paulus für die Heidenchristen ein und die Vorstellungen, die er Petrus machte, führten dazu, daß auch die Judenchristen wenigstens außerhalb Palästinas sich immer mehr von den Vorschriften des mosaischen Gesetzes loslösten und in die christliche Freiheit hinüber strebten.

Fortsetzung folgt in Kap. “Bedeutung und Geschichte der Apostel“.