Papst Johannes XXIII. (1881-1963) schreibt in seinem geistlichen Tagebuch sehr weise (und auch herausfordernd) über die (christliche) Klugheit.

Er spielt da wohl an den Ausspruch von Jesus an, der sagte “Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!” (Mt 10,16).

Auch wenn ich weit von dieser Klugheit entfernt bin, so möchte ich sie mir zumindest als Ziel vornehmen.

Alle mit Achtung, Klugheit und evangelischer Einfachheit behandeln. Man glaubt gewöhnlich und hält es für richtig, dass selbst die alltägliche Redeweise des Papstes voll von Geheimnis und Tiefsinn sei. Dem Beispiel Jesu ist aber viel näher eine gewinnende Einfachheit, die Hand in Hand geht mit der Klugheit der Weisen und Heiligen, denen Gott beisteht. Die Einfachheit mag bei den Überklugen wenn nicht gerade Verachtung, so aber doch geringes Ansehen finden. Darauf kommt es nicht an, nach den Überklugen soll man sich nicht richten, auch wenn sie einen durch ihr Urteil oder ihr Benehmen demütigend behandeln: alles wendet sich zu ihrem Schaden und ihrer Verwirrung. Der „Rechtschaffene, Schlichte und Gottesfürchtige“ ist immer der Würdigere und Stärkere. Natürlich immer unterstützt durch weise und liebenswürdige Klugheit. Derjenige ist einfach, der sich nicht schämt, das Evangelium zu bekennen, auch vor Menschen, die es als Schwäche oder als Kinderei ansehen, es zu bekennen in seinem vollen Umfang, wo auch immer und in Gegenwart aller; derjenige ist einfach, der sich von niemand täuschen oder beeinflussen lässt, der die Seelenruhe nicht verliert, ganz gleich, wie die anderen sich gegen ihn benehmen. Klug ist, wer einen Teil der Wahrheit, die zu betonen unangebracht wäre, zu verschweigen weiß und damit den Teil der Wahrheit, den er sagt, nicht verdirbt, nicht verfälscht; klug ist, wer das Begonnene zu einem guten Ende bringt, da er die wirksamsten Mittel beim Wollen und Tun wählt; […] wer in jeder Sache das Wesentliche erkennt und sich zum Nebensächlichen nicht hinhalten lässt […]; wer von Beginn an bei all diesem den guten Ausgang allein von Gott erhofft, auf den er vertraut […] Die Einfachheit hat nichts, was der Klugheit widerspricht, noch auch umgekehrt. die Einfachheit ist Liebe, die Klugheit ist Denken. Die Liebe betet, der Verstand wacht. „Wachet und betet“ (Mt 26,41) Ein vollkommener Einklang! Die Liebe ist der Taube gleich, die tätige Intelligenz gleicht der Schlange, die nie zur Erde fällt noch anstößt, weil sie mit ihrem Kopf alle Unebenheiten ihres Weges ertastet (Geistliches Tagebuch, Sonntag 13 August 1961 (Übers. Herder Verlag, Freiburg 1964, S. 333-334, zitiert aus Evangelium Tag für Tag)