Nach dem Kapitel “Der Aufenthalt und der Tod der Apostelfürsten in Rom” folgt heute das fünfte Kapitel aus dem Abschnitt „Die Kirche und die römische Staatsgewalt“ aus dem Buch “Geschichte der Kirche Christi” von DDr. Johannes Schuck aus dem Jahr 1938 (Echter Verlag):

Einen genauen Bericht über die Vorgänge, die zu der ersten Christenverfolgung und damit zum Märtyrertod der Apostelfürsten führten, gibt uns der im Jahre 117 n. Chr. gestorbene heidnische Schriftsteller Tacitus. Danach brach am 19. Juli 64 in Rom ein Brand aus, so furchtbar, daß von den vierzehn Stadtgebieten drei ganz und sieben teilweise zerstört wurden. Die Feuersbrunst, die sechs Tage und sieben Nächte dauerte, war vielleicht von Kaiser Nero selbst angestiftet. Um aber den Verdacht von sich abzuwälzen und den Gerüchten, die ihn als Brandstifter bezeichneten, ein Ende zu machen, schob Nero das entsetzliche Verbrechen auf die Christen ab. Er ging dabei in der Weise vor, daß einige Personen die Angeber machen und, ergriffen, so tun mußten, als ob sie Christen wären, wobei sie aussagten, sie selbst und die Christen hätten die Stadt angezündet. Sehr wahrscheinlich spielte bei dieser Ablenkung des Verdachtes auf die Christen auch wieder der Haß der Juden eine Rolle.

Gern überließ Nero die Christen nun der Volkswut, nicht bloß, weil jetzt niemand mehr an seine Schuld glaubte, sondern auch deswegen, weil jetzt seine mit Wollust gepaarte Grausamkeit willkommene Nahrung fand. So grausam war ja dieser Kaiser, daß er seinen Lehrer Seneka nötigte, sich die Adern zu Öffnen. Seinen Halbbruder Britannikus ließ er an der kaiserlichen Tafel vergiften, seine Gemahlin Poppäa Sabina tötete er durch einen Fußtritt und seine eigene Mutter Agrippina ließ er bei Neapel schmählich umbringen. Seine Grausamkeit schien auf das über den Brand empörte Volk überzuspringen. Tacitus berichtet, daß viele Christen in Tierhäute eingenäht und von Hunden zerfleischt wurden; andere wurden gekreuzigt oder verbrannt, wieder andere bei Anbruch der Dunkelheit zur Beleuchtung in Brand gesteckt. Nero stellte zu diesen Schauspielen seine Gärten zur Verfügung und gab ein Zirkusspiel, bei dem er sich in der Tracht eines bekannten Wagenlenkers unter das Volk mischte.

Mit der den Christen so teuflisch zugeschobenen Brandstiftung sind aber die tiefsten Ursachen der Christenverfolgung noch nicht erfaßt. Wohl war die neronische Verfolgung nur ein Vorspiel zu vielen anderen; allein schon hier, bei dem ersten Sturm gegen die Kirche, waren auch tiefere Ursachen wirksam.

Im römischen Reich waren Staat und Religion fest miteinander verbunden und wer zum Reich gehörte, mußte, mochte er vorher was immer für eines Glaubens gewesen sein, die römischen Götter öffentlich verehren. Wollte er neben den römischen Göttern noch andere Gottheiten verehren, so stand ihm das frei und gerade diese Duldung trug dazu bei, daß die eroberten Gebiete sich mit dem Zwang, den römischen Staatsgöttern zu opfern, leicht abfanden. Die Verehrung der Staatsgötter nun hatte sich schon einige Jahrzehnte vor der Geburt Christi dahin entwickelt, daß man die alten, toten Reichsgötter zurücksetzte und dafür zum Mittelpunkt der Staatsreligion das lebendige Reichsoberhaupt, also den Kaiser, machte. Unter Augustus setzte sich die göttliche Verehrung des Kaisers vollends durch und besonders im Osten des Reiches wurde sie schnell pflichtmäßige Staatsreligion. Der religiöse Friede im Reich wurde dadurch keineswegs gestört. Durch das Christentum aber erhielt dieser Zustand plötzlich einen scharfen Stoß.

Jetzt gab es Menschen, die, von den Aposteln gelehrt und getauft, ganz eigene Wege gingen. Man sah sie bei keinem Götteropfer mehr, geflissentlich fehlten sie überall, wo dem Kaiser göttliche Ehren zu erweisen waren; sie wichen jeder Arbeit, jedem Amt und jeder Beschäftigung aus, die mit der Verehrung der Gottheiten oder des Kaisers zusammenhingen. Man sah sie nicht mehr bei großen Mahlzeiten und ausgelassenen Vergnügungen, sie entschuldigten sich plötzlich und machten nicht mehr mit; sie zechten nicht, sie brachen schmutzige Verhältnisse ab, sie zogen sich von der Straße zurück und — arbeiteten. Allmählich wurden Gerüchte laut, diese Leute kämen nachts zusammen und brächten ein ganz absonderliches Opfer dar; man munkelte von einem Kind, von Blut, von einem Mann, der am Kreuz gestorben und von dem sie auch ihren Namen Christen hätten. Zuerst meinte man, sie seien eine besondere Art der Juden. Als aber diese davon hörten, wehrten sie sich mit Händen und Füßen gegen jede Verbindung mit den Christen.

Die Heiden erkannten immer mehr die Kluft, welche sie selbst von den Christen trennte. Man sollte nicht mehr treiben können, was man wollte; nicht mehr essen und trinken können, wie man wollte; seinen Feinden sollte man verzeihen; Sklaven sollte man behandeln wie ehrbare Menschen und arbeiten sollte man: wahrhaftig, so dachten die Heiden, das heißt ja die Ordnung aller Dinge umstürzen, das staatliche Gefüge sprengen und das Reich vernichten — hinweg mit solchen Leuten! Es schürte der wollüstige Römer, er bäumte sich gegen Christengebot und Christensitte auf; es schürte der vergnügungssüchtige große Haufe, der hier einmal Menschen fand, die nicht mehr mit ihm liefen; es schürten die Juden, die in den Christen die Verräter ihrer Sache sahen; es schürten alle, die von der heidnischen Staatsreligion lebten; es schürte der Satan und dann schürte Nero noch den Brand und die Verfolgung war da.

Über Rom hinaus scheint sich diese erste Verfolgung nicht ausgebreitet zu haben und auch unter den Nachfolgern Neros, der im Jahr 68 von allen verlassen und als Staatsgefahr betrachtet, sich umbringen ließ, unter Kaiser Galba (68—69), Vespasian (69—70) und seinem trefflichen Sohn Titus (79—81) hatten die Christen auch in Rom Ruhe. Aber der unter Nero gegen sie entfachte Sturm war doch so furchtbar und erschütternd gewesen, daß die römische Heidenwelt auch weiterhin in den Christen Menschen sah, die, selbst ohne ein besonderes Verbrechen begangen zu haben, schon durch ihr Dasein allein das Recht auf das Leben verwirkt hätten.

Darum brauchte es keines besonderen Anlasses zur Verfolgung, als mit Domitian (81-—96) ein Mann den Kaiserthron bestieg, der nicht bloß außerordentlich habsüchtig und darauf bedacht war, möglichst viele Güter einzuziehen, der ebenso argwöhnisch und besorgt um seine Würde war; er ließ sich „Herr und Gott” nennen. Den Sprossen eines alten römischen Geschlechtes, den Christen Acilius Gabrio, ließ er hinrichten; desgleichen seinen eigenen Vetter — schon bis in die kaiserliche Familie war das Evangelium vorgedrungen — den Konsular Flavius Klemens; dessen Frau Flavia Domitilla verbannte er auf eine Insel. Als er davon hörte, daß in Palästina noch Verwandte der Mutter Christi lebten, befahl er, dieselben sofort nach Rom zu bringen. Der um das Jahr 150 lebende Schriftsteller Hegesippus erzählt, wie sie von dem Kaiser verhört wurden. Zwei Männer waren es. „Domitian fragte sie, ob sie von David abstammten. Sie bestätigten es. Sodann fragte er sie nach dem Umfang ihrer Besitzungen und nach der Größe ihres Vermögens. Sie antworteten, sie besäßen beide zusammen nur neuntausend Denare und davon gehöre jedem die Hälfte. Aber auch dieses Vermögen bestünde, so fügten sie bei, nicht in Geld, sondern im Werte eines Feldes von nur neununddreißig Morgen, die sie mit eigener Hand bewirtschafteten, um davon die Steuern zu zahlen und ihren Lebensunterhalt zu decken. Hierauf zeigten sie ihm ihre Hände und bewiesen durch die Härte ihrer Haut und durch die Schwielen, welche sie infolge ihrer angestrengten Arbeit an ihren Händen trugen, daß sie Handarbeiter waren. Als man sie über Christus und über die Art, den Ort und die Zeit seines Reiches fragte, antworteten sie, dasselbe sei nicht von dieser Welt und von dieser Erde, es sei vielmehr ein himmlisches und engelhaftes Reich, das erst am Ende der Welt kommen werde, wenn Christus in Herrlichkeit erscheinen wird, um die Lebenden und die Toten zu richten und jedem nach seiner Gesinnung zu vergelten. Daraufhin verurteilte sie Domitian nicht, sondern er verachtete sie als gemeine Leute. Er setzte sie in Freiheit und befahl, die Verfolgung der Kirche einzustellen. Sie aber”, so schließt der Bericht, „erhielten nach der Freilassung, da sie Bekenner und Verwandte des Herrn waren, führende Stellungen in der Kirche. Nachdem Frieden geworden war, lebten sie noch bis Trajan” (Euseb. Kg. 3, 20).

Damit war aber der neuerdings entfachte Brand nicht gelöscht.

Fortsetzung folgt mit dem Kap. “Heidnisches Gesetz und christliche Kraft im zweiten Jahrhundert“.