Nach dem Kapitel “Heidnisches Gesetz und christliche Kraft im zweiten Jahrhundert” folgt heute das siebte Kapitel aus dem Abschnitt „Die Kirche und die römische Staatsgewalt“ aus dem Buch “Geschichte der Kirche Christi” von DDr. Johannes Schuck aus dem Jahr 1938 (Echter Verlag):

Während des ganzen zweiten Jahrhunderts verliefen die Verfolgungen ungleichmäßig. Hier waren sie grausamer und blutiger, dort milder; hier waren sie umfangreicher, dort griffen sie weniger weit um sich. Damit verbunden war eine gewisse Unsicherheit der Staatsgewalt, wie sie die Verfolgung gesetzlich begründen und rechtfertigen sollte. Unter den Nachfolgern des Kaisers Trajan traten dazu noch zwei weitere Merkmale: der Pöbel, die sittlich und wirtschaftlich tiefstehende Masse, gewann einen großen Einfluß auf das Vorgehen gegen die Christen, und bei Unglücksfällen und Notlagen gab man den Christen die Schuld. Für die erste Erscheinung, den bösen Einfluß des Pöbels, hat uns die Geschichte ein sprechendes Zeugnis aus der Regierungszeit des Kaisers Hadrian (117—136) bewahrt.

 Der Prokonsul, der höchste Beamte der asiatischen Provinz, Serenius Gratianus mit Namen, hatte dem Kaiser geschrieben, es sei doch eine Ungerechtigkeit, wenn man die Christen bloß auf das Geschrei des Pöbels hin töte, ohne daß eine gerichtliche Untersuchung gegen sie geführt worden und ihnen eine Schuld nachgewiesen sei. Der Haß der Heiden gegen die Christen hatte sich nämlich besonders in einem wütenden Toben bei öffentlichen Festen Luft gemacht und es muß schon schlimm gewesen sein, wenn ein Beamter wie der Prokonsul den Kaiser dagegen anrief. Seine Vorstellungen blieben nicht ohne Wirkung. Er selbst war bis dahin nicht mehr in seinem Amt, aber sein Nachfolger Minucius Fundanus erhielt vom Kaiser folgenden Erlaß:

  „An Minucius Fundanus. Von dem trefflichen Serenius Gratianus, deinem Vorgänger, habe ich ein an mich gerichtetes Schreiben erhalten. Es scheint mir nun nicht gut zu sein, die Sache ohne Untersuchung hingehen zu lassen; denn die Leute sollen nicht beunruhigt werden und die Angeber sollen keine Gelegenheit haben, ihrer Bosheit freien Lauf zu lassen. Wenn sich die Provinzbewohner für ihre Forderung gegen die Christen auf klare Gründe stützen, so daß sie sich auch vor dem Richterstuhl verantworten können, dann sollen sie nur diesen Weg gehen. Nicht aber sollen sie sich aufs Fordern und nur aufs Schreien verlegen. Denn es ist viel besser, daß du, im Falle jemand eine Anklage erheben will, die Sache untersuchen läßt. Wenn also jemand als Kläger auftritt und nachweist, daß die Christen in irgendwelcher Weise gegen die Gesetze handeln, dann fälle dein Urteil entsprechend dem Vergehen. Wer aber in verleumderischer Absicht Klage stellt, den fürwahr ziehe wegen seiner Frechheit zur Verantwortung und für dessen Bestrafung trage Sorge.”

Dieser Erlaß ist der Grund dafür, daß Kaiser Hadrian als christenfreundlich gilt. In der Tat zeugt der Erlaß von Rechtsempfinden und er brachte in das Vorgehen gegen die Christen nach drei Seiten hin eine wesentliche Milderung. Schon das war eine Milderung, daß die Christen jetzt nur mehr verurteilt werden sollten, wenn ihnen vorher regelrecht der Prozeß gemacht worden ist. Noch einschneidender war die Bestimmung, daß es zur Bestrafung von nun an nicht mehr hinreichen sollte, wenn festgestellt war, daß sie Christen seien, es mußte dazu feststehen, daß sie auch ein Vergehen gegen die Staatsgesetze begangen hatten. Wohltuend berühren endlich das eigentlich selbstverständliche Gebot, die Strafe nach der Schwere der Vergehen abzustufen, und der Schutz gegen falsche Anklagen.

Ob der Erlaß den Christen aber auch tatsächlich Erleichterung brachte? Für den Teil Asiens, von dem er veranlaßt war und für den er ausgefertigt wurde, dürfen wir es annehmen; denn aus dieser Provinz haben wir aus den folgenden Jahren keine Nachrichten über Märtyrer. Einen durchgreifenden Einfluß auf das römische Reich hatte der Erlaß jedoch nicht und wenn auch die sogenannten Märtyrerakten, die von zahlreichen Blutzeugen jener Zeit sprechen und sie mit Namen nennen, in den zeitlichen Angaben nicht unbedingt zuverlässig sind, so gab es gleichwohl auch unter Hadrian Christenprozesse und es floß auch unter seiner Regierung Christenblut. Ebenso war es unter seinem Nachfolger, dem Kaiser Antonius Pius, obwohl auch dieser Kaiser, wie schon sein Name Pius d. h. der Gütige besagt, keine grausame Natur war und den Einwohnern mehrerer Städte verbot, neue feindselige Maßnahmen gegen die Christen zu ergreifen. Aus dieser Zeit besitzen wir den unzweifelhaft zuverlässigen Bericht über einen Vorfall, der sich in Rom zutrug und uns nicht bloß ein sicheres, sondern auch ein lebensvolles Bild davon vermittelt, wie es damals zuging.

Für die Frau, die bei diesem Vorfall die erste Rolle spielte, wollte der römische Professor Justinus, ein großer Heiliger, sich bei dem Kaiser verwenden und unterbreitete ihm also den ganzen Hergang. „Eine Frau  so beginnt er seine Darlegung, „lebte in Gemeinschaft mit einem ausschweifenden Mann. Auch sie selbst hatte früher ausschweifend gelebt. Nachdem sie aber die Lehre Christi kennengelernt hatte, beherrschte sie sich und suchte auch ihren Mann zu einem enthaltsamen Leben zu bewegen, indem sie ihm Christi Lehren mitteilte und ihm erzählte, daß die, welche nicht enthaltsam und vernunftgemäß leben, in ewigem Feuer bestraft würden. Er aber setzte sein ausschweifendes Leben fort und entfremdete sich dadurch seine Gattin. Da die Frau es für sündhaft hielt, noch weiter mit einem Mann ehelich zu verkehren, der wider das Naturgesetz und wider das Recht seine Sinnlichkeit auf jede Weise zu befriedigen suchte, wollte sie sich von ihm trennen. Weil aber ihre Angehörigen dies nicht gerne sahen und ihr noch weiter auszuhalten rieten mit dem Bemerken, der Mann würde sich einmal in gehoffter Weise bessern, bezwang sie sich und blieb. Als aber ihr Mann nach Alexandrien gereist war und die Nachricht einlief, er treibe es da noch schlimmer, gab sie, um nicht durch das Verbleiben in der Ehe und durch die Gemeinschaft von Tisch und Bett an seinen Lastern und Sünden teilzuhaben, den üblichen sogenannten Scheidebrief und trennte sich. Ihr sauberer Gatte jedoch, der sich hätte freuen sollen, daß sie sich von all den Sünden, in die sie sich ehedem leichtsinnig mit Dienern und Söldlingen bei fröhlichen Gelagen und andern Unfug eingelassen hatte, lossagte und auch ihn selbst zu bewegen suchte, davon abzulassen, erhob gegen sie, weil sie sich wider seinen Willen von ihm getrennt hatte, die Anklage, sie sei Christin. ,Diese nun reichte bei dir’, so schrieb Justinus dem Kaiser, ,eine Bittschrift ein, worin sie bat, ihr zu gestatten, daß sie zunächst ihre häuslichen Angelegenheiten in Ordnung bringe und daß sie sich erst nach deren Regelung gegen die Anklage verteidige. Du bist auf ihre Bitte eingegangen’. Ihr ehemaliger Gatte wandte sich nunmehr, da er ihr jetzt nichts mehr anhaben konnte, gegen einen gewissen Ptolemäus, der die Frau in der christlichen Lehre unterrichtet hatte. Dieser wurde vor den Richter Urbikus  geladen, und zwar auf folgende Weise. Urbikus überredete einen ihm befreundeten Hauptmann, den Ptolemäus zu verhaften und ihn nur das eine zu fragen, ob er Christ sei. Als Ptolemäus, der die Wahrheit liebte und von Lug und Trug nichts wissen wollte, sich als Christ bekannte, befahl der Hauptmann, ihn in den Kerker zu werfen, wo er ihn lange Zeit mißhandeln ließ. Als der Mann schließlich dem Richter Urbikus vorgeführt wurde, erging an ihn wiederum nur die eine Frage, ob er Christ sei. Und wiederum bekannte sich Ptolemäus im Bewußtsein, daß er das Gute der Lehre Christi verdanke, zur Schule der göttlichen Religion. Entweder leugnet nämlich jemand etwas, weil er eine Sache verwirft, oder er geht einem Bekenntnis aus dem Weg, weil er sich dessen bewußt ist, seiner nicht würdig zu sein oder es nicht zu verstehen. Bei einem wahren Christen trifft weder das eine noch das andere zu.’ Als Urbikus befahl, ihn zur Hinrichtung abzuführen, da wandte sich ein gewisser Lucius, ebenfalls ein Christ, in der Erkenntnis, daß das Urteil ganz unvernünftig sei, an ihn mit den Worten: ,Warum hast du diesen Mann, der doch kein Ehebrecher, kein ausschweifender Mensch, kein Mörder, kein Dieb, kein  Räuber ist, überhaupt keiner bösen Tat überführt werden konnte, sich aber als Christ bekannt hat, bestrafen lassen? Dein Urteil, Urbikus, macht dem Kaiser Pius und dem philosophisch geschulten Sohne des Kaisers und dem heiligen Senate keine Ehre.’ Des Urbikus eine Antwort war, daß er zu Lucius sagte: ,Auch du scheinst mir so einer zu sein.‘ Als Lucius es bejahte, ließ Urbikus ihn zur Hinrichtung abführen. Lucius dankte ihm dafür offen und bemerkte, er sei von diesen schlimmen Herrschern befreit und gehe zu Gott, dem guten Vater und König” (Euseb. Kgsch. 4, 17). „Auch so einer“, das war das kurze Urteil, womit der heidnische Richter den Lucius dem Tod überlieferte. „Was für einer”, das hätte er aus dem Leben des tadellosen Ptolemäus ersehen können. Aber man brauchte nichts zu sehen und nichts zu denken und nichts zu beweisen, man brauchte bloß hinzugehen und zu sagen: er ist ein Christ — und dann hieß es „Auch so einer” und das Urteil war gefällt.

Fortsetzung folgt mit dem Kap. “Vom Wesen des Martyriums“.