Johannes Chrysostomos (ca. 349 – 407 n.Chr.):
(Erzbischof von Konstantinopel, heute Istanbul/Türkei)

“ Röm Kap. 13, V. 1—10.
V. 1: „Jegliche Seele hat sich den obrigkeitlichen Gewalten unterzuordnen.”

Auf diesen Gegenstand legt der Apostel auch in andern Briefen viel Gewicht; wie er das Hausgesinde den Herren, so ordnet er die Untertanen den Herrschern unter. Er tut dies, um zu zeigen, dass Christus seine Gesetze nicht zum Umsturz der staatlichen Ordnung, sondern zu ihrer Verbesserung gegeben habe, und um uns zu belehren, dass wir nicht überflüssige und unnütze Kämpfe gegen dieselbe führen sollen. Es genügen ja schon die Anfeindungen, denen wir der Wahrheit wegen ausgesetzt sind, und es ist nicht nötig, noch überflüssige und unnütze Gefahren heraufzubeschwören.

(…)

 „Denn es gibt keine Obrigkeit ausser von Gott.“
— Was sagst du da? Jede obrigkeitliche Person ist also von Gott eingesetzt? So meine ich das nicht, will der Apostel sagen; ich spreche jetzt nicht von jeder einzelnen obrigkeitlichen Person, sondern von der Obrigkeit im allgemeinen. Dass es überhaupt obrigkeitliche Personen, dass es Herrscher und Untertanen gibt, dass nicht alles drunter und drüber geht, dass die Völker nicht wie Meereswogen hin- und hergetrieben werden, das, sag’ ich, ist ein Werk der Weisheit Gottes. Darum sagt er nicht: „Denn es gibt keine obrigkeitliche Person ausser von Gott“, sondern von der Einrichtung spricht er, wenn er sagt: „Denn es gibt keine Obrigkeit ausser von Gott.“

 „Die Obrigkeiten aber, die bestehen, sind von Gott angeordnet.“

— So will auch jener Weise, wenn er sagt: „Von Gott ist das Weib dem Manne verbunden“ , sagen, dass Gott die Ehe eingesetzt hat, nicht dass er jeden, der mit einem Weibe beisammen ist, selbst mit ihm verbindet. Wir sehen ja viele, die sündhafterweise und doch nach Ehegesetz miteinander beisammen sind, und können dies doch wohl nicht Gott zuschreiben. Der Weise will an jener Stelle nur dasselbe sagen, was Christus einmal gesagt hat: „Der von Anfang die Menschen schuf, hat sie als Mann und Weib erschaffen“, und weiter: „Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen“.

Weil Gleichheit im Range oft Anlass zu Streit gibt, so hat Gott verschiedene Obrigkeits- und Untertänigkeitsverhältnisse festgelegt, wie: zwischen Mann und Weib, zwischen Sohn und Vater, zwischen Greis und Jüngling, zwischen Sklave und Freiem, zwischen Herrscher und Untertan, zwischen Lehrer und Schüler. Was Wunder, dass das in der menschlichen Gesellschaft so ist, da doch Gott dasselbe beim menschlichen Körper so eingerichtet hat! Er hat an demselben nicht allen Gliedern den gleichen Rang gegeben, sondern das eine weniger vornehm, das andere vornehmer geschaffen. Auch bei den Tieren kann man dieselbe Beobachtung machen, so bei den Bienen, bei den Kranichen und bei den wilden Schafherden. Sogar das Meer entbehrt dieser Ordnung nicht, sondern auch hier ordnet sich bei manchen Gattungen von Fischen die Menge einem einzigen Leitfisch unter und unternimmt so weite Streifzüge.”

(aus “Bibliothek der Kirchenväter”, Chrysostomus: Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer, 24. Homilie, Kap. 13, 1.)