Gedanken und Projekte für eine erneuerte Kirche

Widersprüche in der Bibel (Teil 1)

In dieser Blogserie möchte ich auf (scheinbare) Widersprüche in der Bibel eingehen und wie man sie erklären und ggf. auflösen kann.

Vor einiger Zeit nun bin ich auf einen Artikel von jaasch auf CONTEXT 21 gestoßen mit dem Titel “Wa(h)re Weihnacht – eine kleine Entmythologisierung. 02“. Dort wird behauptet, dass Jesus nicht wirklich in einer Krippe eines Stalles, sondern in einem (normalen) Wohnhaus (jedoch mit integriertem Stall wie das damals üblich gewesen sei) geboren wurde.

Begründet wird dies damit:

Dass eine reisende, “schwangere Familie” in einen Stall verfrachtet wurde, widerspricht nicht nur dem biblischen Bericht, sondern steht auch im krassen Widerspruch zur damaligen Kultur der Gastfreundschaft, in der man bereit war, nicht nur seinen Wohnraum, sondern auch “sein letztes Essen” mit einem Fremden zu teilen.

Schauen wir uns doch mal zunächst die besagte Passage im Lukas-Evangelium an:

“1 In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen. 2 Dies geschah zum ersten Mal; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. 3 Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. 4 So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. 5 Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. 6 Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, 7 und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.” (Lk 2,1-6/EÜ)

Lukas berichtet also, dass Maria und Josef keinen Platz in einer Herberge fanden und Jesus deshalb in eine (Futter-)Krippe (in einem Stall) gelegt werden musste.

Im Matthäus-Evangelium wird indes berichtet, dass die Sterndeuter das Jesuskind in einem Haus antrafen:

“1 Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem 2 und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen. 3 Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem. 4 Er ließ alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle. 5 Sie antworteten ihm: In Betlehem in Judäa; denn so steht es bei dem Propheten: 6 Du, Betlehem im Gebiet von Juda, bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten von Juda; denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der Hirt meines Volkes Israel. 7 Danach rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und ließ sich von ihnen genau sagen, wann der Stern erschienen war. 8 Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: Geht und forscht sorgfältig nach, wo das Kind ist; und wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige. 9 Nach diesen Worten des Königs machten sie sich auf den Weg. Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen. 10 Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt. 11 Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar. 12 Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.” (Mt 2,1-12/EÜ)

Der Kirchenvater und Kirchenhistoriker Eusebius von Cäsarea (ca. 260-340 n.Chr.) hat jedoch bereits in “Evangelienfragen und Lösungen an Stephanus” darauf hingewiesen, dass die Sterndeuter nach dem Matthäus-Evangelium (siehe Mt 2,13-17) ganz offensichtlich erst zwei Jahre nach der Geburt Jesu in Bethlehem ankamen:

“2. Welcher Zeitraum aber zwischen der Erscheinung des Sterns für die Magier bei der Geburt unseres Heilands und deren Ankunft in Jerusalem liegt, lehrt dich der Evangelist selbst mit den Worten: Da rief Herodes die Magier heimlich zu sich und erkundete von ihnen den genauen Zeitpunkt der Erscheinung des Sterns [Mt 2,7].” Und als er ihn von ihnen erfragt und erkannt hatte, daß es der und der sei, und als er nach der heimlichen Abreise der Magier sah, daß er von ihnen hintergangen worden war, da wurde er sehr zornig, sandte Leute aus und ließ alle Knaben in Bethlehem und der ganzen Umgebung umbringen, die zweijährig und jünger waren, entsprechend dem Zeitpunkt, den er von den Magiern erfahren hatte [Mt 2,16]. Also war von der Geburt Jesu bis zur Ankunft der Genannten bereits ein Zeitraum von zwei Jahren verstrichen.  Und somit stehen die Angaben bei den heiligen Evangelisten nicht im Widerspruch zu einander, wenn Lukas ihn am achten Tag nach der Geburt zusammen mit seinen Eltern zur Erfüllung der Gesetzesvorschriften nach Jerusalem hinaufgehen und ihn von dort nach Nazareth bringen läßt, während Matthäus schreibt, sie seien nach zwei Jahren wieder nach Bethlehem gekommen und auf Grund der Nachstellung des Königs nach Ägypten weggegangen; denn natürlich kamen sie nicht nur ein zweites Mal, sondern sehr oft an diesen Ort zurück im Gedenken an das Wunder. So wird unzweifelhaft bewiesen, daß der Zeitpunkt, an welchem nach Lukas unser Heiland geboren wurde, nicht derselbe ist wie derjenige, an welchem nach Matthäus die Magier aus dem Orient ankamen.

3. Daß es sich bei beiden Evangelisten nicht um denselben Zeitpunkt handelt, kann man auch noch auf andere Weise erschließen. Lukas nämlich sagt, sie hätten keine Herberge in Bethlehem gefunden; daher hätte sie (d.h. Maria) nach Geburt das Kind in eine Krippe gelegt, da sie keinen Raum in der Herberge hatten; es ist ja natürlich, daß auf Grund des Zensus von allenthalben alle Abkömmlinge des Hauses und der Sippe Davids in der genannten Stadt zusammenströmten, und daß wegen der Menge der Gäste sie keine Herberge fanden. Matthäus aber sagt: Als die Magier den König Herodes gehört hatten, zogen sie nach Bethlehem. Und siehe, der Stern, den sie im Orient gesehen hatten, zog vor ihnen her, bis an den Ort, wo das Kind mit Maria, seiner Mutter, war; und sie warfen sich zu Boden und huldigten ihm [vgl. Mt 2,9-11]. Sie aber finden das Kind nicht in der Krippe vor, wie es bei den Hirten der Fall war, sondern sie sehen es zusammen mit seiner Mutter in einem Haus. Wenn nun Lukas sagt, sie hätten keinen Raum in der Herberge gehabt, wie kann dann Matthäus ihnen ein Haus zuteilen? Da Lukas die Zeit der Geburt beschreibt, die auch die Zeit des Zensus war, zu welcher die Angehörigen desselben Geschlechts massenweise in der Stadt Davids zusammenströmten, während Matthäus die Begebenheit nach einem Zeitraum von zwei Jahren berichtet (denn dies war die Zeit, die Herodes von den Magiern genau erfragt hatte); so also herrschte in Bethlehem Ruhe und sie fanden nach Matthäus leicht eine Unterkunft; und daher gingen die Magier in das Haus hinein, sahen das Kind zusammen mit Maria, seiner Mutter, warfen sich zu Boden und huldigten ihm. Dies ist die Lösung des Problems.” (aus Helmut Merkel: “Die Pluralität der Evangelien“, S. 75-76)

Wie man sieht, sollte man bei der Interpretation der Bibel keine voreiligen Schlüsse ziehen. Viel zu schnell ist man sonst dabei, die Glaubwürdigkeit der Bibel zu Unrecht in Frage zu stellen…

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  1. Sehr schön!
    Freue mich auf weitere Folgen dieser Serie!

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