Nach dem ersten Kapitel “Gründung und erste Wirksamkeit der Kirche” gibt es heute das zweite Kapitel aus dem Buch “Geschichte der Kirche Christi” von DDr. Johannes Schuck aus dem Jahr 1938 (Echter Verlag):
Für den Augenblick hatte das verständige Wort Gamaliels den Hohen Rat beruhigt, wenigstens äußerlich. Es war aber leicht vorauszusehen, daß die Ruhe nicht lange anhalten und daß es dann nicht bei Bedrohung, Ein kerkerung und Geißelung bleiben werde. In der Tat, der Sturm ließ nicht lange auf sich warten. Nur brach er in einer Weise und unter Umständen los, womit man vielleicht doch nicht gerechnet hatte.
Wir wissen schon, wie die Christen jener Tage es nicht zuließen, daß einer unter ihnen Not litt. Da aber die Zahl der Christen andauernd wuchs, wurde die Versorgung der Armen immer schwieriger und, leicht begreiflich, kam es zuweilen vor, daß ein Bedürftiger einmal nicht so bedacht wurde, wie es bei einer genaueren Kenntnis seiner Lage geschehen wäre. Eine eingehende Prüfung aller Verhältnisse und eine persönliche Austeilung der Gaben wurde jedoch den Aposteln selbst von Tag zu Tag immer weniger möglich; sie hätten sonst für ihre erste und wichtigste Berufsaufgabe, die Ausbreitung des Reiches Gottes durch Predigt und Seelsorge, keine Zeit mehr gefunden. Also beriefen sie eine Versammlung und ließen darin sieben Männer wählen, deren Hauptaufgabe die Betreuung der Armen wurde, ohne daß sich aber ihre Bedeutung und Tätigkeit, wie wir gleich sehen werden, in der äußeren Sorge für die Armen der Gemeinde erschöpfen sollte. Die Gewählten — es waren natürlich ausgesucht tüchtige Männer — wurden unter dem Namen „Diakon” d. h. „Diener” von den Aposteln bestätigt, durch Gebet und Handauflegung für ihre Arbeit und ihr Amt mit der Gnade Gottes ausgerüstet und geweiht.
Unter diesen Diakonen war nun — der heilige Lukas nennt ihn an erster Stelle — ein junger Mann namens Stephanus, hochgebildet, tiefgläubig und begeistert, dazu ausgezeichnet durch Wunder, die Gott durch seine Hand und auf seine Fürbitte hin wirkte. Also ein Mann, ganz dazu geschaffen, den feindlichen Angriff mit starker Brust aufzufangen und von den Aposteln, deren Aufgabe ja noch lange nicht erfüllt war, abzulenken.
Der Kampf begann mit den Waffen des Geistes. Gelehrte Juden traten Stephanus entgegen und fingen an mit ihm zu streiten. Bald mußten sie einsehen, daß sie Stephanus nicht gewachsen waren. Ärgerlich zogen sie sich zurück und berieten, was zu machen sei. Mit den Waffen ihrer Gelehrsamkeit waren sie nicht zum Ziel gekommen. Gut; dann mußte man eben zu anderen Waffen greifen. Auf jeden Fall, so dachten sie, muß Stephanus, dieser feurige und beschlagene Redner, dieser Wundermann, mundtot gemacht werden und von den Straßen Jerusalems verschwinden. Helfe, was helfen kann! Und sie stellten Leute auf, die bezeugen sollten Stephanus habe Moses und Gott selbst gelästert.
Nun begann das Aufwiegeln und Schüren; im Tempel und auf der Straße, bei den Schriftgelehrten und unter dem Volk. So schlimm trieben es die geworbenen Heger, daß schließlich ein Auflauf entstand und Stephanus gepackt und vor den Hohen Rat geschleppt wurde.
Da traten auch schon — alles war trefflich eingefädelt — falsche Zeugen vor und sagten: „Dieser Mensch hört nicht auf, Reden gegen die heilige Stätte und das Gesetz zu halten. Wir haben gehört, wie er behauptete: Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören und die Bräuche abändern, die Moses uns überliefert hat” (Apg 6, 13 f). Nach den Begriffen des Hohen Rates war das nun eine furchtbare Freveltat.
Wir müssen hier die Gerichtsverhandlung einen Augenblick verlassen, um zu sehen, wie denn eigentlich die Dinge lagen. Die führenden Kreise des Judentums zur Zeit Jesu lebten ganz in dem Gedanken an ihre Auserwählung. Zweitausend Jahre zuvor hatte Gott den Abraham dazu auserwählt, daß er und seine Nachkommen den Glauben an den einen, wahren Gott und seine Gebote sowie die Verheißung des Erlösers und die Hoffnung auf ihn treu bewahren sollten; auch dazu, daß der Erlöser aus einer Tochter Israels seine menschliche Natur annehmen sollte. Israel mußte sich dieser Auserwählung immer bewußt bleiben und es durfte auf diese Auszeichnung vor allen Völkern der Erde stolz sein; ohne Zweifel. Nur durfte es nicht vergessen, daß es den Erlöser bloß vorbereiten sollte; nur durfte es für den Erlöser selbst nicht blind werden. Ohne Zweifel mußte es sich, um seinen Glauben nicht in Gefahr zu bringen, gegen die anderen Völker abschließen; nur durfte es dabei nicht vergessen, daß der Erlöser nicht für Israel allein, sondern für die ganze Welt kommen sollte. Bei den unter den Heidenvölkern zerstreut lebenden Juden war es vielleicht weniger der Fall, daß sie das vergaßen; die Juden Jerusalems aber dachten nur an sich und verachteten die anderen Völker, sie hingen an ihrem Tempel und ihrem Gesetz, als ob dies die einzigen und endgültigen Stätten der Gottesverehrung seien, und sie schwuren auf die im Lauf der Zeit eingeführten Bräuche wie auf die ewigen Gottesgebote selber.
Diesem alten, starren, in sich selbst zufriedenen Judentum trat nun die junge Christenschar gegenüber. Wohl gingen die Christen noch in den Tempel zum Gebet, wohl beteiligten sie sich, wenn auch nicht an den Opfern, so doch noch an diesen und jenen jüdischen Gebräuchen; aber sie kamen auch außerhalb des Tempels, in ihren Häusern zum Gebet zusammen und wie sie da beteten und opferten, davon stand im Gesetz des Moses nichts geschrieben. — Ein neues Beten, riefen empört die Juden, ein neues Opfern! Diese Christen brauchen den Tempel nicht mehr, ja sie wollen Tempel und Gesetz vernichten, Stephanus hat es verraten; er sagte, so riefen die Zeugen, Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören und die Bräuche abändern, die Moses uns überliefert hat.
So hatte nun Jesus nicht gesagt und auch Stephanus hatte nicht so gesagt; aber der Hohe Rat war doch auf der richtigen Spur, wenn ce fürchtete. daß die Welt seinen Rat einmal nicht mehr brauchen werde. Noch bezwang sich der Hohepriester für einen Augenblick und fragte auf die Anschuldigung der falschen Zeugen hin den Diakon: „Ist dem so?“
„Ihr Männer“, begann da Stephanus, „Ihr Männer, Brüder und Väter, hört!“
Und nun entrollte er vor ihren Augen die Geschichte Israels, wohl um damit zu lehren, daß sie eine einzige Vorbereitung auf den Erlöser war; eine Vorbereitung, der Israel freilich mehr als einmal undankbar widerstanden hatte. Er wurde jedoch jäh unterbrochen. Schon als er auf Israels größte Gestalt, auf Moses zu sprechen gekommen war, hatte er das Unrecht betont, das ihm die Söhne des eigenen Volkes antaten, indem sie bei dem Versuch, sie miteinander zu versöhnen, ihn anschrien: Wer hat dich zum Vorsteher und Richter über uns gesetzt! Als er aber dann bei der Erwähnung des Tempelbaues Salomons unter Anführung eines Prophetenwortes es ablehnte, den Tempel als endgültige und alleinige Wohnung Gottes auf Erden anzuerkennen, da entstand, so läßt der Bericht der Apostelgeschichte vermuten, Unruhe unter den Juden.
Jetzt sagte Stephanus es ihnen gerade heraus. was er sonst vielleicht noch länger vorbereitet hätte: „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herz und Ohren”, rief er, „ihr widersteht allezeit dem Heiligen Geist; wie eure Väter, so auch ihr! Wo war ein Prophet, den eure Väter nicht verfolgt hätten? Sie haben jene getötet, die von der Ankunft des Gerechten weissagten. Ihr nun” — und damit meinte er die Kreuzigung Jesu — „ihr seid seine Verräter und Mörder geworden.
Nun war es heraus, nun mußte er auf alles gefaßt sein. Ruhig stand er da und blickte zum Himmel empor. Von dorther winkte ihm der Herr und verzückt rief er aus: „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“ (Apg 7, 55).
Da hielten sich die Juden die Ohren zu, schrien und stürzten sich auf ihn, zerrten und stießen ihn zur Stadt hinaus und eins, zwei, drei, immer schneller flogen die Steine auf ihn. „Herr Jesus“, rief er, in die Knie zusammensinkend, „nimm meinen Geist auf; Herr, rechne ihnen dies nicht zur Sünde an“ (Apg 7, 59)!
Gottesfürchtige Männer bestatteten den Helden und hielten große Klage (Apg 8, 2).
Stephanus heißt der Kranz. Einen schöneren Namen hätte der erste Tote der streitenden Kirche nicht tragen können. Das ist ja die Fanfare, womit die Krieger des Reiches Gottes auf Erden in den Kampf stürmen und durch das Siegestor in den Himmel einziehen können:
Deinen Soldaten, o Menschensohn, / Bist Du der Sold, der Kranz und Lohn. (Nach einem Vesperhymnus eines Märtyrerfestes)
Fortsetzung folgt mit dem Kap. “Die Ausbreitung des Christentums in Judäa und Samaria“.
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