Nach dem Kapitel “Die römischen Verfolgungen im ersten Jahrhundert” folgt heute das sechste Kapitel aus dem Abschnitt „Die Kirche und die römische Staatsgewalt“ aus dem Buch “Geschichte der Kirche Christi” von DDr. Johannes Schuck aus dem Jahr 1938 (Echter Verlag):

Im Jahre 111 oder 112 — genau ist das Jahr nicht zu bestimmen erhielt eine Landschaft in Kleinasien namens Bithynien einen neuen Statthalter. Er hieß Plinius; in der Geschichte trägt er den Beinamen „der Jüngere”. Kaiser Trajan (98—117), der Nachfolger des Kaisers Domitian, hatte Plinius aufgetragen, in seinem Verwaltungsgebiet alle Vereine zu untersagen, die nicht staatlich anerkannt waren. Bei der Durchführung des kaiserlichen Auftrages machte nun der neue Statthalter die ihn ganz überraschende Entdeckung, daß es in der Provinz, überall in Stadt und Land, zahlreiche Christen gab, beiderlei Geschlechts, jeden Standes und Berufes. Ein Teil derselben blieb auf das Verbot hin den Christenversammlungen fern; der größere Teil jedoch kümmerte sich nicht um das Verbot und besuchte auch weiterhin die gottesdienstlichen Versammlungen der Christen.

Als sie nun dem Statthalter angezeigt wurden, stand dieser vor der Notwendigkeit, strafend einzugreifen; er tat es natürlich, hatte dabei jedoch keine sichere, klare Linie, weil ihm jede Erfahrung in solchen Prozessen fehlte. Zunächst ging er so vor, daß er die Christen, die ergriffen wurden, fragte, ob sie wirklich Christen seien, und, wenn sie zwei- und dreimal befragt und auch nach Androhung der Todesstrafe Christen bleiben wollten, zur Hinrichtung abführen ließ. Er ließ sich dabei von der sonderbaren und rechtlich ganz unhaltbaren Ansicht leiten, daß sie ohne jede Rücksicht auf den Inhalt ihres Bekenntnisses ganz allein schon wegen ihrer Hartnäckigkeit und ihres unbeugsamen Starrsinnes zu bestrafen seien. Waren römische Bürger unter den Christen, so wurden sie bloß erfasst, um nach Rom geschickt zu werden.

Da wurde eines Tages dem Landpfleger eine lange Liste von Personen übermittelt, die sämtlich Christen sein sollten; eine Unterschrift trug die Liste allerdings nicht. Trotzdem ließ Plinius die angezeigten Leute vor sein Gericht laden. Ein Teil davon bestritt auf das entschiedenste, christlich zu sein; sie fluchten sogar Christus und erwiesen dem herbeigebrachten Kaiserbild anstandslos die vorgeschriebenen göttlichen Ehren, „was, wie Plinius bemerkt, „wirkliche Christen niemals tun”. Andere gaben zu, Christen gewesen zu sein, beteuerten aber, es jetzt nicht mehr zu sein und opferten gleichfalls dem Kaiser. Aus ihren Angaben konnte sich Plinius jedoch kein klares Bild über die Lehre und das Leben der Christen machen, ebensowenig aus dem Verhör zweier Frauen, die den Priestern in der kirchlichen Verwaltung beistanden und Diakonissinnen genannt wurden. Plinius empfand seinen Mangel an Einsicht in das Christentum als einen Nachteil für die Prozeßführung und kam in Verlegenheit. Was tun?

Er unterbrach die Prozeßführung und wandte sich unter Darlegung seiner Erfahrungen an den Kaiser mit der Bitte um Richtlinien. Was er vor allem wissen wollte, faßte er in die zwei Fragen zusammen: ob der Christenname an sich schon bestraft werden solle, gleichgültige ob der Christ gegen die Gesetze gefehlt habe oder nicht, oder ob bloß die mit dem Christennamen zusammenhängenden Verbrechen verurteilt werden sollten. Dabei war Plinius offensichtlich bemüht, den Kaiser mild zu stimmen und ihm zu versichern, der Opferdienst für die Götter hebe sich wieder und wenn die Reue berücksichtigt werde, sei mit der Zurückgewinnung vieler Christen zu rechnen.

Auf seine Anfrage erhielt Plinius vom Kaiser folgende Antwort: „Bei der gerichtlichen Untersuchung gegen die Personen, die dir als Christen angezeigt waren, hast du das durch die Umstände gebotene Verfahren einzuschlagen; denn es kann keine allgemeine Bestimmung getroffen werden, die gewissermaßen eine feste Norm abgäbe. Aufspüren soll man die Christen nicht. Wenn sie angezeigt und überführt werden, sind sie zu bestrafen, jedoch mit der Einschränkung, das jeder, der leugnet, Christ zu sein, und das durch die Tat bekundet, indem er nämlich unsere Götter anfleht, so verdächtig er auch in bezug auf seine Vergangenheit sein mag, wegen seiner Reue Verzeihung erhalten soll. Aber Anzeigen ohne Namensunterschrift darf bei keinem Prozeß stattgegeben werden. Denn das hieße, ein sehr schlechtes Beispiel geben; das paßt auch nicht in unsere Zeit.“

Was ist nun von dieser kaiserlichen Antwort zu sagen? Ohne Zweifel berührt es wohltuend, daß nicht mit Unterschrift versehene Anzeigen unberücksichtigt bleiben sollten; hierin lag ein Schutz der Christen gegen den Haß der Heiden und Juden. Im übrigen aber war die Antwort den Christen ungünstig und in sich auch widerspruchsvoll. Ungünstig für die Christen, weil der Kaiser davon ausgeht, dass das Christsein an sich schon anzeigepflichtig und straffällig sei. Ungünstig konnte sie auch dadurch werden, daß der Kaiser die Aufstellung fester, allgemein gültiger Vorschriften als unmöglich erklärt und so das Vorgehen gegen die Christen weithin dem Ermessen und damit der Willkür der Provinzialbehörden überläßt. Wie widerspruchsvoll die kaiserliche Antwort ist, geht schon aus der Bestimmung hervor, daß die Christen, die doch als Verbrecher betrachtet wurden, nicht aufgespürt werden sollen; überdies aber auch aus der rechtlich unhaltbaren Anweisung, daß die einfache Verleugnung des zur Last gelegten und als strafwürdig angesehenen christlichen Bekenntnisses straffrei machen soll. Durch dieses leichte Mittel, sich der Strafe zu entziehen, sollten offenbar viele Christen der heidnischen Gottesverehrung zurückgewonnen werden.

Es ist von unschätzbarem Wert, daß uns der Briefwechsel zwischen Kaiser Trajan und seinem Statthalter Plinius erhalten blieb und wir damit unbedingt zuverlässige Angaben über die Verfolgungen jener Zeit gewinnen. Es war übrigens im ganzen zweiten Jahrhundert so, daß die rechtliche Grundlage für die Christenverfolgungen schwankte.

Diese Tatsache mag denn auch zu einer zweiten Eigenart der Verfolgungen jener Zeit beigetragen haben, zu dem ungleichmäßigen Verlauf. Weil man sich nicht darüber klar wurde, wie man das Vorgehen gegen die Christen begründen sollte, deswegen blieb man sich auch darüber im unklaren, ob und wie man gegen sie einschreiten sollte. Die Stellungnahme zu den Christen war also nicht bei allen Kaisern die gleiche und wenn auch die Verfolgungen niemals allgemein und längere Zeit aufhörten, so war ihre Stärke und Ausdehnung doch verschieden.

Über die Opfer der Verfolgungen sind wir weniger sicher und genau unterrichtet. Aus der gewiß großen Zahl der getöteten Christen ragen zwei Männer hervor, deren Namen eigens erwähnt und bekränzt sein sollen: der einhundertzwanzigjährige Bischof von Jerusalem namens Simeon, der nach unerhörten, tagelangen Martern gekreuzigt wurde, und der heilige Ignatius, Bischof von Antiochien. Während seiner Überführung nach Rom, wo er den wilden Tieren vorgeworfen wurde, schrieb Ignatius sieben Briefe, die zu den kostbarsten Vermächtnissen der altchristlichen Kirche gehören. Sie geben Zeugnis von dem Geist, in dem die Kirche ihrem Herrn die Treue hielt und alles zurückstellte, nur um Christus zu gewinnen. Es ist wie ein heiliges Heldenlied, wenn Ignatius auf dem Weg in den Tod an die Christengemeinde zu Tralles schreibt: „Nun erst fange ich an, ein Jünger zu werden. Nichts von den sichtbaren und unsichtbaren Wesen soll mich reizen; denn Jesus Christus will ich gewinnen. Es mögen über mich kommen Feuerqualen, Kreuzigung, aufgehetzte Tiere, es mögen meine Gebeine zermalmt werden, es möge der Teufel mich schinden; wenn ich nur Jesus Christus finde.”

Damit gehen wir auf die Suche nach den Quellen, woraus die Märtyrer ihre Kraft schöpften. Wir dürfen uns ja nicht damit zufrieden geben, den Verlauf der Ereignisse zu überblicken und Ereignis mit Ereignis ursächlich zu verbinden, wir müssen auch die Verbindung von innerer Gesinnung und äußerem Geschehen finden. Aufschluß kann uns da für jene Zeit der Brief geben, den der heilige Klemens, der dritte Papst nach dem Apostelfürsten, gegen Ende des ersten Jahrhunderts an die Christengemeinde zu Korinth schrieb. So lehrte Papst Klemens die Christen denken: „Das ist der Weg, auf dem wir unser Heil finden, Jesus Christus, den Hohepriester unserer Opfergaben, den Anwalt und Helfer in unserer Schwäche. Durch ihn streben wir standhaft nach den Höhen des Himmels; durch ihn schauen wir sein heiliges und erhabenes Antlitz, durch ihn wurden die Augen unseres Herzens geöffnet, durch ihn ringt sich unser unweiser und dunkler Verstand durch zum Licht. Laßt uns also kämpfen, Männer, Brüder, mit aller Ausdauer unter seinen untadeligen Gesetzen« (Kap. 36, 37).

Daß die Christen diese „untadeligen Gesetze” des Herrn auch untadelig befolgten und damit im eigenen Leben Christus lebten, das war die Sorge des Papstes. Wenn er in den Herzen der Gläubigen den Vorsatz weckt:

Wir wollen kämpfen, damit wir in der Zahl derer gefunden werden, die ausharren, damit wir teil haben an den versprochenen Gütern”, dann gibt er auf die Frage, wie das geschehen kann, die Antwort: „Wenn unsere Gesinnung in Treue gegen Gott befestigt ist, wenn wir wegwerfen von uns alles Unrecht und alle Schlechtigkeit, Habsucht, Streit, Bosheit und Hinterlist, Verleumdung und üble Nachrede, Haß gegen Gott, Aufgeblasenheit und Prahlerei, Eitelkeit und ungastliches Wesen” (Kap. 35). So lehrte der Papst die Christen leben: „Unseren Herrn Jesus Christus, dessen Blut für uns hingegeben wurde, wollen wir verehren, unsere Vorgesetzten wollen wir achten, die Eltern ehren, die Jugend in Zucht und Gottesfurcht erziehen, die Frauen zum Guten anhalten, damit sie der Keuschheit liebenswürdige Sitten zeigen, ihre Sanftmut unversehrte Gesinnung an den Tag legen, ihre Zunge mäßigen und schweigen, ihre Liebeswerke nicht nach Neigungen tun, sondern in heiliger Gesinnung sie gleichermaßen allen zuwenden, die Gott fürchten. Unsere Kinder sollen in Christus erzogen werden; sie sollen lernen, was demütiger Sinn bei Gott vermag, wie mächtig die reine Liebe bei Gott ist, wie gut und groß die Gottesfurcht ist und wie sie alle rettet, die in reiner Gesinnung ein heiliges Leben führen” (Kap. 21). Wie ernst es die Christen mit der reinen Gesinnung und dem heiligen Leben nehmen sollten, zeigt ganz ergreifend ein Gebet, das der Papst den Gläubigen für die ihnen doch so feindseligen heidnischen Machthaber auf die Zunge legte. So sollten die Christen für die weltlichen Obrigkeiten beten: „Du, o Herr, hast durch deine übergroße und unbeschreibliche Stärke ihnen die Vollmacht zu herrschen gegeben, damit wir in Anerkennung der ihnen von dir verliehenen Herrlichkeit und Ehre ihnen gehorchen, ohne irgendwie deinem Willen zu widersprechen. Schenke ihnen, o Herr, Gesundheit, Frieden, Einigkeit und Stärke, damit sie ohne Sünde ihre von dir verliehene Herrschaft ausüben. Denn du, o Herr, himmlischer König der Ewigkeiten, verleihest den Menschenkindern Ehre, Ansehen und Macht über die Erde. Leite, o Herr, ihren Sinn, so wie es gut und dir wohlgefällig ist, damit sie gottesfürchtig, friedfertig und mild die von dir verliehene Gewalt gebrauchen und so deiner Gnade teilhaftig werden. Der du allein imstande bist, diese und noch größere Wohltaten unter uns zu wirken, dich preisen wir durch den obersten Priester und den Führer unserer Seelen Jesus Christus” (Kap. 61).

Die Grundkraft der Verfolgten war Christus; sie hieß: nach Christus, mit Christus, durch Christus, in Christus.

Fortsetzung folgt mit dem Kap. “Die Verfolgungen unter den Kaisern Hadrian und Antonius“.