Warum sollte ein Christ beten? Weiß Gott nicht sowieso schon alles? Was bezweckt er eigentlich damit? Und inwiefern hilft uns das Beten, auch ganz konkret?

Isaak der Syrer (7. Jh.), Mönch in Ninive bei Mossul im heutigen Irak und Heiliger der orthodoxen Kirchen klärt uns auf:

Selig der Mensch, der um seine eigene Schwachheit weiß; denn dieses Wissen wird ihm zum Fundament, zur Wurzel und zum Ursprung aller Güte. […] Wenn einem Menschen bewusst wird, was er ohne göttlichen Beistand ist, dann betet er sehr viel. Und je mehr er betet, desto demütiger wird sein Herz. […] Wenn er das alles erkannt hat, dann birgt er das Gebet in seiner Seele wie einen Schatz. Und weil seine Freude darüber so groß ist, wird sein Gebet zur Danksagung. […] Getragen von dieser Erkenntnis und staunend über die Gnade Gottes, erhebt er seine Stimme, lobt und preist Gott und sagt ihm Dank in höchster Bewunderung.

Ein Mensch, der tatsächlich – und nicht bloß in seiner Einbildung – solche Merkmale aufweist und solche Erfahrungen gemacht hat, der weiß, wovon ich spreche und dass dagegen nichts einzuwenden ist. Er soll aber von nun an nicht mehr nach eitlen Dingen verlangen. Er bleibe in Gott durch unablässiges Gebet und in der Furcht, es könnte ihm sonst der Reichtum des göttlichen Beistandes entzogen werden.

All diese Güter werden dem Menschen gegeben, sobald er seine Schwachheit erkennt. In seinem großen Verlangen nach dem Beistand Gottes verharrt er im Gebet und nähert sich Gott. In dem Maß, wie er sich entschlossen Gott nähert, kommt ihm Gott mit seinen Gaben entgegen und entzieht ihm nicht seine Gnade, weil er so demütig ist. Ein solcher Mensch ist ja wie die Witwe, die nicht aufhört, den Richter anzuflehen, ihr doch Recht gegen ihren Feind zu verschaffen. Der mitfühlende Gott lässt sich nur deshalb Zeit mit seinen Gnadengaben, um so den Menschen anzuspornen, sich ihm zu nähern und sich an dem festzumachen, der die Quelle seines Heils ist, dessen er so sehr bedarf.

Asketische Reden, 1. Sammlung, 21. Abhandlung (Discours ascétiques, in: Oeuvres spirituelles, DDB 1981, p. 143–145, rev.; ins Dt. übers. © Evangelizo)