Nach dem zweiten Kapitel “Der Kampf des Judentums gegen die Kirche” gibt es heute das dritte Kapitel aus dem Buch “Geschichte der Kirche Christi” von DDr. Johannes Schuck aus dem Jahr 1938 (Echter Verlag):
Der Tod des heiligen Stephanus griff tief in die Entwicklung der jungen Kirche ein. Auf den ersten Blick schien er ein schwerer Verlust und ein großes Unglück zu sein. Aber schon nach wenigen Tagen zeigte sich, daß er ein Segensopfer war. Unter dem Druck von außen schließt sich ja jede Gemeinschaft fester zusammen, wird von Halbheiten gereinigt und wird in sich selbst wertvoller! Hier aber, bei dem ersten Blutopfer des geheimnisvollen Leibes Christi, trat zu dieser inneren Kräftigung eine zweite Wirkung. Sie fällt noch mehr in das Auge als die erste; denn sie leitet geradezu einen neuen Abschnitt im Leben der Urkirche ein. Es waltete schon hier das Gesetz, das die Christen späterer Zeit in die Worte faßten: das Blut der Märtyrer ist der Same der Christen.
Mit der Steinigung des Stephanus hatte sich nämlich der Sturm des Judentums auf die Christengemeinde nicht gelegt; im Gegenteil, die Steinwürfe vor der Mauer draußen waren das Zeichen zu einer Verfolgung der Christen im ganzen Stadtbereich. Die Christen duckten sich und schlüpften zu den Toren hinaus. Wem das nicht gelang, der mußte allerdings jeden Augenblick darauf gefaßt sein, daß ihm die Häscher die Türen einschlugen und ihn über die Schwelle zerrten. Männer und Frauen verschwanden hinter den Gefängnismauern. Nur die Apostel nicht/Wo sie sich aufhielten? — Wer weiß es? Aber sie waren da, mitten in Jerusalem.
Die geflüchteten Christen blieben natürlich nicht beieinander; der eine hierhin, der andere dorthin zerstreuten sie sich in die Umgegend. Haus und Habe hatten sie im Stich lassen müssen; aber ihr höchstes Gut, den Glauben an Christus, trugen sie im Herzen mit sich Dorf zu Dorf, über die ganze Landschaft Judäa. Oft genug werden sie gefragt worden sein „Woher” und „Wohin”; auch ohnedies, wo immer sie hinkamen, sprang ihnen der Name Jesus aus dem Herzen in die Welt hinaus. „Die Versprengten”, berichtet der heilige Lukas, „zogen umher und verkündeten die frohe Botschaft des Wortes Gottes“ (Apg 8, 4). Die Juden Jerusalems hatten auf die Christen eingeschlagen, um sie zu vernichten; und siehe da, jct5t flogen die Christen wie Samenkörner rechts und links in Furchen hinein, die sie ohne die Verfolgung niemals gefunden hätten.
Die auf diese Weise herbeigeführte Ausbreitung des Evangeliums über ganz Judäa war aber nur der erste Schritt über Jerusalem hinaus; der Weg lief weiter. Dabei gewann einer der Versprengten eine ganz besondere Bedeutung; wiederum einer der sieben Diakone, die zur Leitung der Armenfürsorge in Jerusalem aufgestellt worden waren. Er hieß Philippus.
Dieser Philippus, wohl zu unterscheiden von dem Apostel Philippus, wandte sich nach Norden und kam bis zur Grenze zwischen Judäa und dem nördlich an Judäa anstoßenden Samaria. Grenze? Ja, es war schon eine Grenze, auch wenn Samaria, ebenso wie Judäa und Galiläa nur ein Teil, der mittlere Teil von Palästina war. Die Bewohner Samarias waren nämlich ein Mischvolk, die Nachkommen der Juden, die von jeher in Samaria gewohnt hatten, und der Heiden, die nach der Eroberung des Landes durch die Assyrer im achten Jahrhundert vor Christus hier angesiedelt worden waren. Auch religiös waren sie von den Juden getrennt. Zwar hatten sie sich den Glauben an den einen wahren Gott bewahrt und auch die Hoffnung auf den Erlöser lebte in ihnen; aber ihre äußere Gottesverehrung hatte viel heidnischen Einschlag, stand jahrhundertelang in keiner Beziehung zu Jerusalem und wenn die Samariter auch zur Zeit Christi die Verbindlichkeiten des mosaischen Gesetzes anerkannten und den heidnischen Einfluß zurückdrängten, so wurden sie doch von den Juden nicht als religiös gleichwertig anerkannt.
Philippus stand also an der Grenze von Samaria. Sollte er sie überschreiten? Auch den in den Augen der Juden minderwertigen Samaritern das Evangelium verkünden? Er überschritt die Grenze, unmittelbar in die Hauptstadt ging er. Hier — die Hauptstadt trug damals den gleichen Namen wie die Landschaft, obwohl schon Herodes der Große ihr fünfzig Jahre zuvor zu Ehren des Kaisers den Namen Sebaste d. h. die Kaiserliche gegeben hatte — hier in Samaria lebte nun Jesus durch das Wort des Philippus auf. Der Diakon begann zu predigen und schon durch die wunderbaren Krankenheilungen angezogen, die Gott zur Bestätigung seiner Predigt wirkte, strömten die auf Philippus zu, lauschten willig seinen Worten und ließen sich taufen. Damit war die zweite große Christengemeinde gegründet und in Samaria herrschte, wie die Apostelgeschichte berichtet, viel Freude (Apg 8, 9).
Während also die Juden in Jerusalem das Christentum tödlich treffen wollten, war ihr Hieb vorbeigegangen und ein Lufthieb geblieben; ja, er war ein Hieb geworden, der sie selber traf. Die Apostel saßen mit ihrer wenn auch für den Augenblick kleineren Heldenschaar in Jerusalem fest, und gleichzeitig, vielmehr noch gerade durch die Verfolgung, war das Evangelium über ganz Judäa gedrungen und war jetzt sogar jenseits der Grenze bei den Samaritern.
Damit ist die Bedeutung des Schrittes über die Grenze noch nicht ausgemessen. Jerusalem bedeutete den Zusammenschluß der einzelnen Christen zu einer Christengemeinde; mit Samaria begann die Verbindung von Gemeinde zu Gemeinde. Denn als die Apostel in Jerusalem hörten, daß Samaria das Wort Gottes angenommen hatte, ordneten sie zwei aus ihrer Mitte nach Samaria ab, um den dort Getauften das heilige Sakrament der Firmung zu spenden. Sie hatten ja an sich selbst die Wunderkraft des Heiligen Geistes erfahren und waren, viel mehr als wir es jetzt vielleicht sind, sich dessen bewußt, daß der Heilige Geist es ist, der Christus in den Gotteskindern lebendig macht. Darum machten sich die zwei Apostel ohne Verzug auf den Weg. Daß der eine von ihnen Petrus war — der andere war Johannes — ist leicht begreiflich. Zu Petrus hatte ja der Herr gesagt: Weide meine Lämmer, weide meine Schafe; Petrus mußte also auch die gefundenen Lämmer auf den Gefilden Samarias der Herde Christi eingliedern.
Während des Aufenthaltes der Apostel in Jerusalem kam es zu einem Zwischenfall, der nach zwei Richtungen hin bedeutungsvoll wurde. Die junge Kirche stieß da zum erstenmal auf einen Feind, der sich ihr später immer wieder entgegenstellte und ihr viel zu kämpfen und zu leiden gab. Der Zwischenfall gewann ferner dadurch an Bedeutung, daß wie bei der Zuwahl des Apostels Matthias, am Pfingstfest und bei anderen Gelegenheiten, so auch hier der heilige Petrus als Wortführer auftrat.
Schon längere Zeit bevor Philippus nach Samaria kam, hatte nämlich ein gewisser Simon sein Unwesen in der Stadt getrieben, sich als höheres Wesen ausgegeben, die Leute mit allerlei Zauberkünsten verführt und es dahin gebracht, daß man ihm allgemein den Namen gab „die große Kraft Gottes”. Als nun dieser Simon den Diakon Philippus predigen hörte und die Wunderzeichen sah, womit Gott dessen Predigt unterstützte, ließ er sich taufen und schloß sich sogar eng an Philippus an. Wie staunte er erst, als die zwei Apostel kamen und er erfuhr, daß durch die Handauflegung der Heilige Geist mitgeteilt werde! Jetzt brachen die Machtgier und der Ehrgeiz, die ihn schon an die Seite des Philippus geführt hatten, hemmungslos durch und entlarvten ihn. „Gebt auch mir die Vollmacht”, so sprach er zu den Aposteln, „daß jeder, dem ich die Hände auflege, den Heiligen Geist empfange!“ Dabei — und das war das Furchtbare — bot er ihnen Geld an; mit Geld wollte er sich die Vollmacht, den Heiligen Geist mitzuteilen, erkaufen.
Wir können uns gut vorstellen, wie Petrus bei einem solchen Ansinnen erschrak und mit welch erschütterndem Ernst er den Simon wie einen Satan zurückwies und von sich schleuderte. „Dein Geld“, sprach er zu ihm, „fahre mit dir ins Verderben, weil du geglaubt hast, die Gabe Gottes mit Geld erkaufen zu können.” Daran fügte er eine Strafpredigt, so eindringlich und drohend, daß Simon ihn sogar um seine Fürbitte bei Gott anflehte (Apg 8, 9 bis 24).
Noch der Heimweg der Apostel war eine kleine Missionsreise (Apg 8, 25). So froh waren Petrus und Johannes früher niemals vom Fischfang auf dem See Genezareth zurückgekehrt, so froh, wie sie jetzt waren, als sie wieder nach Jerusalem kamen und Hunderte zu Kindern Gottes und Streitern Christi gemacht hatten. Für alle Zeit bleibt diese Samariareise denkwürdig; denn hier leuchteten zwei Grundlinien in der Entwicklung der Kirche auf: die Linie, die über die Grenzen zur räumlichen Allgemeinheit führt, und die Linie zum Zusammenschluß der Christengemeinden unter die von Petrus geleiteten Apostel: Auseinander und doch zueinander.
Fortsetzung folgt mit Kap. “Die erste Begegnung mit dem Heidentum“.
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