Nach dem dritten Kapitel “Die Ausbreitung des Christentums in Judäa und Samaria” gibt es heute das vierte Kapitel aus dem Buch “Geschichte der Kirche Christi” von DDr. Johannes Schuck aus dem Jahr 1938 (Echter Verlag):

Petrus und Johannes waren nun wieder in Jerusalem. Wo aber war der Diakon Philippus geblieben?

Wie er der erste Vermittler der Botschaft und Gnade Christi nach Norden geworden war, so wurde er auch ihr erster Vermittler nach dem Süden zu. Der Heilige Geist, von dem geführt die junge Kirche über die nördliche Grenze Judäas gewandert war, bediente sich ebenfalls des Philippus, um das Licht über die südliche Grenze zu senden.

Der neue Auftrag wurde dem Diakon durch einen Engel zugestellt. Wir wissen nicht, wo und wann es geschah; die Apostelgeschichte berichtet nur, daß ein Engel des Herrn Philippus gebot: „Mach dich auf und zieh gegen Süden!” Das war also wieder in die Landschaft Judäa zurück. Aber nicht nach Jerusalem sollte er gehen, sondern immer südwärts sollte er wandern, bis er auf die Straße träfe, die von Jerusalem nach Gaza, einer von alters her bekannten Handelsstadt am Mittelmeer, führte. Diese Straße hatte einen eigenen Namen; sie hieß: „Die Einsame”.

Als nun Philippus von Norden her auf diese „Einsame Straße” traf, sah er auf derselben einen Reisewagen fahren, darin ein vornehmer Mann saß und eifrig in einer Rolle las. Der Diakon kannte ihn nicht; es war ein Fremder, ein Ausländer, Weit aus dem Süden war er gekommen, aus dem Lande Äthiopien an den Ufern des Nil. Dieses Land war damals von Königinnen beherrscht, die alle den Titel Kandake führten. Der Reisende auf der „Einsamen Straße” war, wir würden sagen, der Finanzminister der Königin von Äthiopien. Er hatte Jerusalem aufgesucht, um dort im Tempel zu beten. Vielleicht hatte er durch Juden, die, wie man sich ausdrückte, in der Zerstreuung, d. h. vereinzelt in den Heidenländern wohnten, von dem einen wahren Gott, den Israel in seinem Tempel zu Jerusalem verehrte, gehört und war dabei, wer weiß aus welcher Not heraus, auf den Gedanken gekommen, im Tempel zu Jerusalem dem Gott Israels seine Verehrung zu bezeigen.

Als nun Philippus auf der „Einsamen Straße” den Wagen mit dem Schatzmeister der Königin Kandake sah, hörte er eine Stimme in seinem Innern: „Geh hin und halte dich in der Nähe des Wagens! ” Er lief hin und sah den Schatzmeister in die Rolle vertieft. Es waren die Schriften des Propheten Jesajas. Da der Schatzmeister laut vor sich hin las, erkannte Philippus die Prophetenworte und fragte ihn: „Verstehst du auch, was du liest?”

„Wie kann ich das”, erwiderte jener, „wenn mich niemand unterweist?”

Und er lud Philippus ein, in den Wagen zu steigen und bei ihm Platz zu nehmen und ihm zu helfen. Die Stelle, die der Schatzmeister gerade aufgeschlagen hatte, war die Weissagung über den Opfertod des Herrn, die mit den Worten beginnt: „Wie ein Schaf sich zur Schlachtbank führen läßt und wie ein Lamm vor dem, der es schert, keinen Laut von sich gibt, so öffnet er seinen Mund nicht” (Jes 53, 7).

Der Äthiopier konnte sich nicht denken, wer damit gemeint sei und sprach zu Philippus: „Ich bitte dich, von wem sagt dies der Prophet? Von sich oder von einem anderen?”

Nun hatte Philippus einen Anfang. Von dieser Schriftstelle ausgehend war es ihm leicht, dem gelehrigen Schüler die Geheimnisse des Heiles zu enthüllen. Er tat es so überzeugend, daß der Äthiopier ein heiliges Verlangen nach Christus in seinem Herzen fühlte und, als sie an einem Wasser vorbeikamen, sehnsüchtig ausrief: „Da ist ja Wasser; was steht meiner Taufe noch im Weg?”

„Wenn du von ganzem Herzen glaubst”, erklärte Philippus, „dann kann es geschehen.”

Feierlich der Äthiopier: „Ich glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist” (Apg 8, 36 f).

Der Wagen hielt. Philippus ging mit dem Fremden zu dem Wasser. Von Friede und Freude überflutet stieg der Schatzmeister als Kind Gottes aus dem Wasser empor und fuhr seines Weges weiter nach Süden.

Freu dich, Äthiopien! Jetzt kommt dein Schatzmeister als ein Schatzmeister der Seelen zurück; als ein Licht, gegen das selbst deine südliche Sonne Finsternis ist; ein Licht, angezündet nicht an dem dämmernden und abgebrannten mosaischen Gesetz, sondern an dem Licht, das in die Welt kam, um jeden Menschen zu erleuchten, auch die dunklen Kinder der Königin Kandake.

Wiederum, wo war Philippus geblieben?

Ganz plötzlich tauchte er in der Stadt Azot auf; später begegnen wir ihm noch einmal in der Stadt Cäsarea. Im Augenblick müssen wir ihn seinen Weg ruhig weitergehen lassen und auf den Weg schauen, den die gesamte junge Kirche jetzt zu gehen hatte und für den Philippus wie ein geheimnisvolles Zeichen war: den Weg zu den Heiden. Ehe wir aber den Aposteln, diesen „Säleuten der Ewigkeit”, wie der heilige Hilarius sie nennt, in die Heidenwelt folgen, sei ein Blick auf das Feld geworfen, das ihrer Arbeit wartete; ohne Blick auf das Feld kann weder Arbeit noch Ernte gewürdigt werden.

Heiden, das sind die Menschen, die nicht an den einen wahren Gott und an seine übernatürliche Offenbarung glauben. In der Zeit vor Christus waren das alle Menschen mit Ausnahme des kleinen Volkes Israel. Wie die Menschen dazu kamen, den Glauben an den einen wahren Gott zu verlieren, nachdem er doch von den Stammeltern her in der Welt war, das schildert bis auf den heutigen Tag immer noch am sichersten und klarsten der heilige Apostel Paulus im Römerbrief. „Das Unsichtbare an Gott”, so sagte er, „ist seit Erschaffung der Welt in den erschaffenen Dingen erkennbar und sichtbar, nämlich seine ewige Kraft und Gottheit, so daß sie keine Entschuldigung haben. Denn nachdem sie Gott erkannt haben, haben sie ihn nicht als Gott verherrlicht, noch ihm gedankt, sondern sie wurden eitel in ihrem Glauben und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert. Sie gaben sich für Weise aus, waren aber Toren. Sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit dem Gleichnis und Bild des vergänglichen Menschen, auch der Vögel, und vierfüßiger und kriechender Tiere. Darum überließ sie Gott den Lüsten ihres Herzens, der Unreinigkeit, so daß sie ihren eigenen Leib an sich selbst schändeten, sie, welche die Wahrheit Gottes mit der Lüge vertauschten und mehr das Geschöpf verehrten und anbeteten als den Schöpfer, welcher gepriesen sei in Ewigkeit. Amen” (Röm 1, 20-25).

Danach entstand das Heidentum erst allmählich in der Welt und zwar durch den Abfall von Gott und durch die Hingabe an die Erdendinge, durch ein Herabfallen aus dem Geistigen in das Sinnliche. Begonnen wurde dieser Abfall durch die erste Sünde. Durch die Sünde wurde es im Menschengeist dunkel. Der Menschenwille wurde schwach. Je mehr Sünden, umso dunkler wurde es, umso schwächer wurde der Wille. Der Weg führte umso tiefer in das Heidentum, je tiefer die Welt in Sünden sank. Die Heidenvölker, mit denen das Christentum zuerst in Berührung kam, wohnten in den Ländern um das Mittelmeer, vor allem an seiner Ostküste und Nordküste. Soweit nun auch die Heiden von dem einen wahren Gott entfernt waren, so hatte doch die göttliche Vorsehung sie auf den Sohn Gottes, der mit seiner Erlösung auch zu ihnen kommen sollte, vorbereitet. Schon dadurch, daß bei ihnen die Erkenntnis oder wenigstens das Gefühl geweckt wurde, es könne auf der Welt nicht mehr so weiter gehen. Die Verehrung ihrer vielen falschen Götter war mit der Zeit immer unsinniger und trostloser geworden. Die Philosophie, d. h. die Lebensweisheit, wie sie der menschliche Verstand rein aus sich selbst finden kann, war in stumpfe Ermattung, in trübselige Zweifel oder auf der anderen Seite in eine hemmungslose Hingabe an die Erdenfreuden ausgeartet. Die Kraft, die von einem geordneten und starken Staatsleben und von einem begeisterten Volksbewußtsein ausgeht, war schwächer geworden. Wenn auch noch unbestimmt, so sprach man doch schon vielfach sehnsüchtig davon, daß ein „Jemand” aus einer anderen und höheren Welt kommen und helfen müsse.

Dieser Erkenntnis kam zustatten, daß die Heiden auch ohne übernatürliche Offenbarung manches Körnlein der verlorenen Wahrheit wiedergefunden und gepflegt hatten. Der heilige Klemens von Alexandrien sagt geradezu, die Heidenwelt sei durch die Philosophie zu Christus erzogen worden. Manches Fünklein Licht war auch dadurch in die Finsternis des Heidentums gefallen, daß das auserwählte Volk in seiner wechselvollen Geschichte mit einzelnen Heidenvölkern in Berührung gekommen war. Und noch eine dritte Vorbereitung der Heiden für Christus: der Verkehr mit den Mittelmeerländern, auf deren heidnische Bewohner die Christen ja zuerst trafen, war allmählich wesentlich erleichtert worden. Man konnte überall mit einer einzigen Sprache durchkommen. Die äußeren Schranken zwischen Volk und Volk waren gefallen; fast die ganze damals bekannte Welt war in dem einen römischen Reich vereinigt, das Weltreich des irdischen Kaisers war so die Vorbereitung für das Reich Gottes geworden. Die vielen Straßen um das Mittelmeer, auf denen der Weltverkehr hin und her flutete und die doch alle „Einsame Straßen” waren, weil die Heiden, die darauf gingen, fern von Gott gingen und sich in die Erde verloren — schon streckten sich diese einsamen Straßen dem entgegen, der sagen konnte: „Ich bin der Weg”, und schon hörten sie in der Ferne die Schritte der Gottesboten, die kamen, um nach dem Wort des Zacharias die müdgeirrten Füße auf den Weg des Friedens zu führen.

Fortsetzung folgt mit Kap. “Petrus wird von Gott über die Berufung der Heiden belehrt“.