Vor über zwei Jahren habe ich einen Artikel mit dem Titel Warum es nicht verrückt ist, an die biblische Schöpfungsgeschichte zu glauben geschrieben.
Darin hatte ich im Kern behauptet, dass es keine zwingenden naturwissenschaftlichen Belege gibt, die einen Glauben an ein wörtliches Verständnis der biblischen Schöpfungsgeschichte als unvernünftig erscheinen lassen.
Das halte ich im Grundsatz weiterhin für vertretbar. Aus theologischer und heilsgeschichtlicher Sicht kann es nämlich sinnvoll sein, zunächst von einem eher wörtlichen Verständnis auszugehen, um den Kern des christlichen Glaubens nicht vorschnell zu verwässern.
Andererseits denke ich: Für Skeptiker und Atheisten wird der Glaube eher schwieriger, wenn Christen keine Auslegung der Heiligen Schrift anbieten können, die die Widersprüche zwischen dem heutigen naturwissenschaftlichen Forschungsstand und den biblischen Schöpfungsberichten ernst nimmt und zu lösen versucht. Und dies will ich hiermit nachholen.
Angefangen hatte meine weitere Recherche mit dem sehr lesenswerten Buch Schöpfung und Evolution? Drei Wissenschaftler. Drei Positionen. Eine Debatte., in dem Barbara Drossel, (Professorin für Theoretische Physik an der TU Darmstadt), Reinhard Junker (studierter Mathematiker, Biologe und promovierter Theologe) und Siegfried Scherer (em. Professor für Mikrobielle Ökologie an der Technischen Universität München) ihre Ansichten zu diesem Thema austauschten, das aber letztlich für mich auch keine befriedigende Antwort auf meine Fragestellung lieferte.
Zunächst aber mal eine Zusammenfassung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse von ChatGPT, die ein (rein) wörtliches Verständnis der biblischen Schöpfungsberichte (Genesis 1,1–2,3 und Genesis 2,4–25) praktisch unmöglich machen.
7 Gründe, warum der biblische Schöpfungsbericht nicht naturwissenschaftlich verstanden werden darf
✅ 1. Kosmologie: Alter des Universums (13,8 Mrd. Jahre)
Gesicherte Erkenntnis:
Das Alter des Universums ist durch mehrere unabhängige Methoden eindeutig bestimmt:
- Kosmische Hintergrundstrahlung (CMB)
- Hubble-Konstante und kosmische Expansion
- Sternentwicklung in Kugelsternhaufen
- Radioaktive Zerfallsreihen in Meteoriten
➡️ Die Daten stimmen alle überein: ca. 13,8 Milliarden Jahre.
Konflikt mit wörtlicher Genesis:
Eine Welt, die erst vor ca. 6.000–10.000 Jahren geschaffen wurde, ist mit den heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen praktisch unvereinbar.
✅ 2. Geologie: Alter der Erde (4,54 Mrd. Jahre)
Gesicherte Erkenntnisse:
- Uran-Blei-Datierung von Meteoriten
- Datierung der ältesten Mineralien (Zirkone)
- Schichtenfolge der Erdkruste
- Plattentektonik & Kontinentaldrift (Geschwindigkeit messbar)
➡️ Die Erde ist 4,54 Milliarden Jahre alt.
Konflikt:
Ein wörtlicher Schöpfungsbericht setzt eine junge Erde voraus, die mit den heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht vereinbar ist.
✅ 3. Evolution: Gemeinsame Abstammung aller Lebewesen
Gesicherte Erkenntnisse:
- Genetik (homologe Gene, Pseudogene, Endogene Retroviren)
- Fossilfunde mit klaren Übergangsformen
- Biogeographie
- vergleichende Anatomie
- beobachtbare Evolution in Echtzeit (z. B. Resistenzentwicklung)
➡️ Evolution ist grundlegend gesichert (auch wenn es noch offene Fragen gibt).
➡️ Menschen teilen 98–99 % der Gene mit Schimpansen.
➡️ Die genetischen Marker zeigen gemeinsame Abstammung, keinen Sondererschaffungsakt.
Konflikt:
Ein wörtliches Genesis-Verständnis behauptet:
- Arten wurden fertig erschaffen
- Es gab keine gemeinsame Abstammung
- Der Mensch wurde direkt aus Lehm erschaffen
Das widerspricht allen genetischen Daten.
✅ 4. Reihenfolge der Entstehung – unvereinbar mit der Naturwissenschaft
In Genesis 1 entstehen u. a.:
- Licht
- Trennung von Wasser und Himmel
- Pflanzen
- Sonne, Mond und Sterne
- Tiere
- Mensch
Problem:
Die Sonne entsteht nach den Pflanzen.
➡️ Das ist astronomisch und biologisch unmöglich.
Auch die Entstehungsreihenfolge der Tiere passt nicht:
- In Genesis kommen Vögel vor Landtieren → evolutionär falsch.
- Der Mensch entsteht „aus dem Lehm“ → biologisch falsch.
✅ 5. Genetik des Menschen: kein „einzelnes erstes Paar“
Gesicherte Erkenntnisse:
- Die menschliche Population war niemals kleiner als etwa 1.000–10.000 Individuen (genetische Flaschenhälse).
- Die genetische Vielfalt des Menschen lässt ein „Adam-und-Eva-Paar“ biologisch ausschließen.
- Es gibt zahlreiche menschliche Linien, die parallel existierten (Neandertaler, Denisova-Menschen usw.).
Konflikt:
Ein wörtliches Verständnis setzt ein einziges Ursprungspaar voraus → genetisch unmöglich.
✅ 6. Tod und Krankheit existierten lange vor Menschen
Belege:
- Fossilien zeigen Krebs, Brüche, Parasiten, Infektionen – hunderte Millionen Jahre alt.
- Der Tod ist Teil der Evolution.
Konflikt:
Ein wörtliches Verständnis behauptet:
- „Vor dem Sündenfall gab es keinen Tod.“
➡️ Aus naturwissenschaftlicher Sicht falsch.
✅ 7. Archäologie: Der Mensch ist viel älter als 6.000 Jahre
Gesicherte Erkenntnisse:
- Homo sapiens existiert ca. 300.000 Jahre
- symbolische Kunst: 70.000–100.000 Jahre alt
- Ackerbau: 10.000 Jahre alt
- Schrift: 5.000 Jahre alt
➡️ Die Welt des Alten Testaments beginnt lange nach der tatsächlichen Menschheitsgeschichte.
Fazit: Was schließen die Wissenschaften wirklich aus?
- eine 6-Tage-Schöpfung
- eine junge Erde
- ein biologisch erstes Menschenpaar
- völliges Fehlen von Leid und Tod vor dem Menschen
- eine Schöpfung „Pflanzen vor der Sonne“
- unabhängige Erschaffung der Arten
Wie kann man nun die biblischen Schöpfungsberichte verstehen, um diese Widersprüche zu den Naturwissenschaften aufzulösen?
Die erste Frage, die ich mir gestellt habe ist, warum man denn die Schöpfungsberichte überhaupt anders verstehen sollte bzw. darf als sie von so ziemlich allen Christen inkl. der Kirchenväter bis in die Neuzeit verstanden wurden.
Auch Papst Benedikt XVI bzw. Joseph Ratzinger hat sich mit dieser Frage in der ersten Predigt “Gott der Schöpfer” des Büchleins Im Anfang schuf Gott recht ausführlich beschäftigt.
Er behauptet darin, dass man die Schöpfungserzählungen heute nicht mehr so lesen kann wie frühere Generationen. Er gibt aber auch zu, dass dadurch der Eindruck bei vielen Menschen entstehen muss, dass die Kirche den Text nur deshalb anders deute, weil ältere Lesarten nicht mehr haltbar sind und sagt:
„…daß die Geschichte des Christentums in den letzten vierhundert Jahren ein ständiges Rückzugsgefecht gewesen sei (…) So steigt der Verdacht auf, daß am Ende vielleicht doch diese Auskunft [= die heutige Erklärung, dass Genesis keine naturwissenschaftliche Beschreibung ist] nur ein Trick der Kirche und der Theologen sei…“ (S. 18)
Ratzinger nimmt diesen Verdacht ernst. Gleichzeitig erklärt er, warum eine andere Auslegung heute notwendig und legitim ist: Gerade die frühen Kapitel der Genesis gehören zu einer literarischen Form, in der geschichtliche Wahrheit in verdichteter und symbolischer Sprache ausgedrückt wird. Ihre eigentliche Aussage entstand erst allmählich im Laufe der Geschichte Israels — und nicht als fertiges Wissenssystem, das man einfach wörtlich übernehmen muss.
„Der ganze Alte Bund ist ein Unterwegssein mit dem Wort Gottes… Nur in solchem Unterwegssein hat sich die eigentliche Aussage der Bibel Schritt um Schritt geformt.“ (S. 20)
Darum kann man die Schöpfungsberichte nicht wie moderne Geschichtsschreibung oder Naturwissenschaft lesen. Ihre Wahrheit liegt nicht im zeitlichen Ablauf der Ereignisse, sondern in den grundlegenden Aussagen über Gott, die Welt und den Menschen.
Warum haben die Kirchenväter die Schöpfungstexte dann nicht schon ähnlich ausgelegt wie wir heute?
Das erklärt Ratzinger an dieser Stelle nicht direkt. Historisch lässt sich aber sagen, dass die Kirchenväter die Frage „wörtlich oder nicht?“ gar nicht so stellen konnten wie wir heute — aus mehreren Gründen:
1. Es gab damals keine Trennung zwischen „Geschichte“ und „Wissenschaft“
In der Antike und Spätantike waren:
- naturkundliches Wissen,
- Geschichtsschreibung,
- Weltbilder,
- religiöse Deutung
ein einziges zusammenhängendes Denken.
Niemand hat zwischen naturwissenschaftlicher Beschreibung und theologischer Aussage unterschieden, weil es diese Kategorien noch gar nicht gab.
Darum konnte man den Text praktisch nur „wörtlich-kosmologisch“ oder „symbolisch-theologisch“ zugleich lesen — aber nicht im modernen Sinn „als Nicht-Naturwissenschaft“.
2. Es gab keine Hinweise, dass eine wörtliche Lesart problematisch wäre
Die Kirchenväter hatten:
- keine Evolutionsbiologie,
- keine Genetik,
- keine Erkenntnisse über Erdzeitalter,
- keine Kosmologie wie heute.
Der Text bot ihnen keine erkennbaren Bruchstellen zur Welt, die sie kannten.
3. Sie konnten keine „andere Option“ sehen
Wenn niemand weiß, dass es eine 4,5 Milliarden Jahre alte Erde gibt,
und niemand weiß, dass Arten sich entwickeln,
dann wirkt die biblische Erzählung völlig plausibel.
Man interpretiert nicht „falsch“, sondern mit dem Wissen der eigenen Zeit.
4. Die Kirchenväter waren trotzdem keine primitiven Literalisten
Viele Kirchenväter (z. B. Origenes, Augustinus) sagten ausdrücklich,
dass Genesis nicht einfach historisch zu lesen sei.
Aber ihre Alternativen waren:
- allegorisch-spirituelle Lesung
- oder grob wörtliche Lesung
Nicht die moderne literarische Gattungsanalyse.
5. Moderne literarische Gattungsforschung gab es nicht
Die Unterscheidung:
- Mythos
- Bildwort
- Urgeschichte
- historische Erzählung
- prophetisches Bild
- poetisches Bekenntnis
existierte theologisch erst seit dem 19./20. Jahrhundert.
Erst damit konnte man sagen:
„Diese Texte sind eine bestimmte literarische Form, kein naturwissenschaftlicher Bericht.“
Wie kann man sich dann aber jetzt die Erschaffung der Menschen im Einklang mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen konkret vorstellen?
Hierzu gibt es das recht aktuelle Buch Science, Reason, and Faith (2023) des amerikanischen Jesuitenpriesters und pensionierten Präsidenten der Gonzaga University in Spokane (Washington), Robert Spitzer. Darin werden die verschiedenen Themen bzgl. der Erschaffung der Welt und der Menschen unter Berücksichtigung der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse aus katholischer Sicht betrachtet.
Eine mögliche Synthese: Evolution + Einhauchung der Seele
Robert Spitzer nimmt wie der aktuelle wissenschaftliche Stand eine Evolution der Menschen an, aber unterscheidet zwischen
(a) unseren genetischen Vorfahren (der Mitochondrialen Eva und dem Y-Chromosom-Adam, die vor etwa 150.000-200.000 Jahren lebten und Teil der etwa 300.000 Jahre alten frühen Homo-sapiens-Linie waren und sich evolutionär entwickelt haben)
und
(b) unseren ersten beseelten Vorfahren (Adam und Eva im theologischen Sinn, die eine direkt von Gott erschaffene menschliche Seele erhalten haben).
Er argumentiert, dass erst vor etwa 70.000 und 50.000 Jahren jene geistigen Fähigkeiten auftreten, die eine transphysische Seele voraussetzen:
- abstraktes Denken
- syntaktische Sprache
- Kunst
- Religion
- Moral
- Mathematik
- Technologie
- große Migration („Great African Diaspora“)
Daher identifiziert er Adam und Eva nicht mit den ersten biologischen Menschen, sondern mit den ersten geistbegabten Menschen, deren Auftreten er (in einer philosophisch-theologischen Hypothese) auf etwa 60.000 Jahre datiert.
Was geschieht vor etwa 70.000-50.000 Jahren?
Spitzer zählt sieben Bereiche auf, die alle gleichzeitig auftauchen:
- Abstrakte Sprache (Chomsky/Berwick: möglicherweise in einer einzigen Mutation entstanden)
- Konzeptuelles Denken & Logik
- Mathematik (früheste Zählgeräte ~40.000 Jahre)
- Kunst & Musik (Höhlenmalerei, Flöten, Skulpturen)
- Religion & Jenseitsvorstellung
- Moralische Symbolik (Tabus, Regeln)
- Technologische Revolution (Bögen, Feuerbohrer, Seefahrt, Kleidung)
- Große Migration (plötzlich weltweite Expansion)
Der entscheidende Punkt:
Diese Fähigkeiten unterscheiden den Menschen kategorial vom Tier.
Sie sind nicht nur mehr vom Gleichen, sondern qualitativ anders.
Spitzers Schlussfolgerung
Da diese Fähigkeiten laut philosophischer Anthropologie nicht durch
- rein materielle Prozesse,
- hirnbiologische Mutation oder
- natürliche Selektion allein
erklärbar sind, deutet er sie als Effekt eines neuen Prinzips:
Die Gabe der geistigen Seele.
Damit setzt er den „Adam-und-Eva-Moment“ nicht in die biologische Frühgeschichte, sondern in die Zeit, in der der Mensch geistfähig wird.
Wie kann man dann nach Spitzers Hypothese den Sündenfall verstehen (Gen 3,1-7)?
1. Ausgangsfrage: Konflikt zwischen Bibel und Naturwissenschaft?
Spitzer stellt zwei häufige Probleme dar, die modernen Menschen Schwierigkeiten machen:
- Monogenismus vs. Polygenismus
– also: stammt die Menschheit von einem Paar oder von vielen frühen Menschen ab? - „Der Tod kam durch die Sünde“
– wie passt das zu Milliarden Jahren biologischen Sterbens vor dem Menschen?
Sein Kernanliegen: Es gibt keinen echten Widerspruch, wenn man die Absicht der biblischen Texte und die kirchliche Lehre richtig versteht.
2. Wie die Bibel den Sündenfall deutet
Spitzer zeigt: Genesis 2–3 ist kein naturwissenschaftlicher Bericht, sondern ein theologisch inspirierter Text, der eine grundlegende Wahrheit über den Menschen ausdrückt:
Grundbotschaft des Sündenfalls
- Der Mensch wurde in Harmonie mit Gott geschaffen.
- Diese Harmonie wurde gebrochen, weil der Mensch sich selbst zum Maß machen wollte („wie Gott sein“ = Selbstvergötterung).
- Der Satan (die Schlange) verführt, indem er Misstrauen gegen Gott sät.
- Nach der Sünde folgt:
- Verlust der ursprünglichen Gottesnähe
- innere Zerrissenheit
- Schuldabwehr, Verstrickung, Unehrlichkeit
- Kampf mit dem Bösen
- Angst vor Leid und Tod
- “Vertreibung” aus der paradiesischen Gemeinschaft
Wichtig: Das alles sind geistliche Konsequenzen, nicht naturwissenschaftliche Aussagen.
3. Warum Tod und Leid nicht „neu“ in die Welt kamen
Spitzer betont – im Einklang mit Pius XII. und Bellarmin – dass:
- Die Bibel nicht beabsichtigt, naturwissenschaftliche Aussagen zu machen.
- Es gab Milliarden Jahre Tod und Schmerz im Tierreich, lange vor dem Menschen.
Daher gilt:
„Tod“ im theologischen Sinn
= Verlust der ursprünglichen Gabe der Unsterblichkeit und der Nähe Gottes
⇒ Der Mensch erlebt jetzt den Tod als existentielles Ende, als Angst und Bedrohung.
„Suffering“ (Leiden) im theologischen Sinn
= die selbstbewusste, geistig-geistliche Erfahrung von Leid und Angst
⇒ nicht bloß Schmerzempfinden wie bei Tieren.
Die Sünde brachte also nicht das biologische Sterben in die Welt,
sondern die geistliche Todeserfahrung, die Angst, die Entfremdung, die Verlorenheit.
4. Was die Kirche über Erbsünde lehrt (CCC 404–418)
Spitzer fasst die Lehre so zusammen:
- Adam und Eva begingen eine persönliche Sünde.
- Wir erben nicht ihre Schuld, sondern deren Auswirkung:
- Verlust der ursprünglichen Heiligkeit
- innere Schwäche, Zerrissenheit (Konkupiszenz)
- Neigung zum Bösen
- Unwissenheit
- Angst vor Leid und Tod
- Der Mensch ist nicht völlig verdorben (Augustinus: verwundet, nicht zerstört).
- Christus stellt durch Gnade den Weg zur Gemeinschaft mit Gott wieder her.
Ein zentraler Satz Spitzers:
Wir sind vielleicht zu 49 % „verderbt“, aber zu 51 % noch heil – und Christus heilt uns weiter.
5. Monogenismus, Polygenismus und moderne Wissenschaft
Spitzer zeigt:
Die katholische Lehre verlangt nicht zwingend einen biologischen Monogenismus.
Sondern einen theologischen Monogenismus:
Es gab ein erstes Paar, dem Gott erstmals eine transzendente Seele schenkte und das durch seine freie Entscheidung den Sündenfall verursachte.
Naturwissenschaftlich sieht Spitzer folgendes Bild:
- Die ersten genetischen Vorfahren (Mitochondriale Eva & Y-Chromosom-Adam) lebten vor ca. 200.000 Jahren.
- Die ersten beseelten Menschen (unsere ersten wahren geistbegabten Vorfahren, „Adam und Eva“) lebten nach Spitzer vor ca. 60.000 Jahren.
Gott musste dabei nicht zwei Menschen aus dem Nichts schaffen.
Er konnte einem Paar der damaligen Homo-sapiens-Population die geistige Seele verleihen.
Dieses erste Paar:
- war die Quelle aller geistbegabten Menschen
- konnte frei sündigen
- übertrug den gefallenen Zustand auf seine Nachkommen.
Damit bleibt sowohl die kirchliche Lehre als auch die moderne Genetik bestehen.
Aber wie sind dann die Folgen des Sündenfalls zu verstehen?
Gott bestraft ja sowohl die Schlange als auch die ersten Menschen für ihre Sünden:
14 Da sprach Gott, der HERR, zur Schlange:
Genesis 3,14-19 (Enheitsübersetzung)
Weil du das getan hast, bist du verflucht / unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. / Auf dem Bauch wirst du kriechen / und Staub fressen alle Tage deines Lebens.
15 Und Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau, / zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen. / Er trifft dich am Kopf / und du triffst ihn an der Ferse.
16 Zur Frau sprach er:
Viel Mühsal bereite ich dir und häufig wirst du schwanger werden. / Unter Schmerzen gebierst du Kinder. / Nach deinem Mann hast du Verlangen / und er wird über dich herrschen.
17 Zum Menschen sprach er: Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem ich dir geboten hatte, davon nicht zu essen,
ist der Erdboden deinetwegen verflucht. / Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens.
18 Dornen und Disteln lässt er dir wachsen / und die Pflanzen des Feldes wirst du essen.
19 Im Schweiße deines Angesichts / wirst du dein Brot essen, / bis du zum Erdboden zurückkehrst; / denn von ihm bist du genommen, / Staub bist du / und zum Staub kehrst du zurück.
John Walton schreibt dazu in dem Bibelkommentar Genesis (The NIV Application Commentary) :
Die Bestrafung der Schlange
SCHLANGEN SIND in der antiken Welt oft Gegenstand von Flüchen, und der Fluch in Vers 14 folgt in gewisser Weise vorhersehbaren Mustern. Die ägyptischen Pyramidentexte (zweite Hälfte des dritten Jahrtausends v. Chr.) enthalten eine Reihe von Zaubersprüchen gegen Schlangen, aber auch Zaubersprüche gegen andere Kreaturen, die als Gefahren oder Schädlinge galten. Die Schlange genießt jedoch eine gewisse Bedeutung, da sie auf der Krone des Pharaos dargestellt ist. Einige Zaubersprüche fordern die Schlange auf, auf ihrem Bauch zu kriechen (ihr Gesicht auf dem Weg zu halten). Dies steht im Gegensatz dazu, ihren Kopf zum Zuschlagen zu erheben. Die Schlange auf dem Bauch ist nicht bedrohlich, während die aufgerichtete Schlange schützt oder angreift. Das Treten auf eine Schlange wird in diesen Texten als Mittel zur Überwindung oder Besiegung verwendet. Dies deutet darauf hin, dass wir uns die Schlange nicht so vorstellen sollten, als wäre sie zuvor auf Beinen gegangen. Stattdessen bekämpft der Fluch ihre aggressive Natur.
Ebenso sollten wir den Fluch, Staub zu fressen, nicht als Beschreibung der Ernährung von Schlangen verstehen. Die Darstellung von Staub oder Erde als Nahrung ist typisch für Beschreibungen der Unterwelt in antiker Literatur. Im Gilgamesch-Epos träumt Enkidu auf seinem Sterbebett von der Unterwelt und beschreibt sie als einen Ort ohne Licht, wo „Staub ihre Speise, Lehm ihr Brot ist“, eine Beschreibung, die auch aus dem Abstieg der Ishtar bekannt ist. Dies sind höchstwahrscheinlich Merkmale der Unterwelt, weil sie das Grab beschreiben. Staub füllt den Mund der Leiche, aber Staub wird auch den Mund der Schlange füllen, während sie auf dem Boden kriecht. Vor diesem Hintergrund kann der Fluch über die Schlange als Wunsch nach einem Zustand verstanden werden, der mit Unterwürfigkeit (auf dem Bauch kriechen) und Tod (Staub fressen) verbunden ist.
Genesis (The NIV Application Commentary), zu Gen 3,14 (dt. Übersetzung DeepL)
Die Bestrafung der Frau
Die NET Bible bietet hier eine präzisere Übersetzung als die deutsche Einheitsübersetzung: Sie zeigt, dass der Frau nicht völlig neue Geburtswehen auferlegt werden, als wäre die Geburt zuvor schmerzlos gewesen, sondern dass ihre Schmerzen vermehrt bzw. verstärkt werden.
To the woman he said,
“I will greatly increase your labor pains;
with pain you will give birth to children.
You will want to control your husband,
but he will dominate you.”
NET Bible, Gen 3,16
Eine Fußnote der NET Bible erklärt dies näher:
Heb “your pain and your conception,” suggesting to some interpreters that having a lot of children was a result of the judgment (probably to make up for the loss through death). But the next clause shows that the pain is associated with conception and childbirth. The two words form a hendiadys (where two words are joined to express one idea, like “good and angry” in English), the second explaining the first. “Conception,” if the correct meaning of the noun, must be figurative here since there is no pain in conception; it is a synecdoche, representing the entire process of childbirth and child rearing from the very start. However, recent etymological research suggests the noun is derived from a root הרר (hrr), not הרה (hrh), and means “trembling, pain” (see D. Tsumura, “A Note on הרוֹן (Gen 3, 16),” Bib 75 [1994]: 398-400). In this case “pain and trembling” refers to the physical effects of childbirth. The word עִצְּבוֹן (ʿitsvon, “pain”), an abstract noun related to the verb (עָצַב, ʿatsav), includes more than physical pain. It is emotional distress as well as physical pain. The same word is used in v. 17 for the man’s painful toil in the field.
NET Bible translation Note to Gen 3,16
Ganz ähnlich argumentiert Walton in Genesis (The NIV Application Commentary) :
Zwei wichtige EXEGETISCHE Fragen müssen in Bezug auf die Aussage, die Gott der Frau macht, behandelt werden. Diese konzentrieren sich auf die Wörter „Schmerz“ und „Verlangen“, die beide untersucht und geklärt werden müssen.
Schmerz. Das Substantiv, das in der ersten Zeile mit „Schmerz“ übersetzt wird, ist ʿiṣṣabon, ein Wort, das nur noch zweimal im Alten Testament vorkommt (Gen 3,17; 5,29). Substantive von derselben Wurzel (ʿeṣeb II, ʿoṣeb II und ʿaṣṣebet) beziehen sich auf Schmerz, Qual, Not, Sorge, Ärgernis und Angst. Die verbale Wurzel (ʿṣb II) kommt in einer Vielzahl von Stämmen mit einem semantischen Bereich vor, der in erster Linie Kummer und Sorge ausdrückt. Wichtig an diesem Profil ist, dass die Wurzel typischerweise nicht verwendet wird, um auf körperlichen Schmerz abzuzielen, sondern auf seelische oder psychische Qual (obwohl körperlicher Schmerz die Qual begleiten oder die Ursache dafür sein kann).
Dies ist in der Tat hilfreich, da Ausleger im Allgemeinen Schwierigkeiten hatten, herauszufinden, inwiefern die Empfängnis schmerzhaft ist. Trotz der Wiedergabe „Kinderkriegen“ in der NIV bezieht sich das hebräische Wort spezifisch auf die Empfängnis. Das Wort, das in der zweiten Zeile mit „Schmerz“ übersetzt wird (ʿeṣeb), wird anderswo verwendet, um anstrengende Arbeit zu bezeichnen, und ist daher eine angemessene Beschreibung der Geburt. Eine letzte Anmerkung zur Syntax ist, dass in der ersten Zeile „Schmerzen beim Kinderkriegen“ eine Hendiadyoin ist (zwei Substantive, die durch „und“ verbunden sind, aber als eine einzige Einheit fungieren, z. B. amerikanisch „assault and battery“) und somit so etwas wie „Empfängnisangst“ vermittelt.
Aus diesen Beobachtungen können wir schließen, dass die erste Hälfte von Vers 16 ein erweiterter Merismus ist (zwei Endpunkte, die verwendet werden, um sich auf alles dazwischen zu beziehen, z. B. „von A bis Z“), der sich auf die Angst bezieht, die eine Frau während des gesamten Prozesses von der Empfängnis bis zur Geburt erlebt. Dies beinhaltet die Angst, ob sie ein Kind empfangen kann, die Angst, die mit all den körperlichen Beschwerden der Schwangerschaft einhergeht, die Angst um die Gesundheit des Kindes im Mutterleib und die Angst, ob sie und das Baby den Geburtsvorgang überleben werden. Selbst in einer Welt moderner Technologie und erst recht im unsicheren medizinischen Klima der Antike müssen wir zustimmen, dass Angst den Geburtsvorgang bestimmt. Eine daraus resultierende Paraphrase von Vers 16a lautet: „Ich will die Qual, die du im Geburtsvorgang erlebst, von der Angst um die Empfängnis bis zur anstrengenden Arbeit der Geburt, sehr vermehren. (…)”
Genesis (The NIV Application Commentary), zu Gen 3,16 (dt. Übersetzung DeepL)
Kurz gesagt: Nach Walton geht es bei „Schmerz“ und „Empfängnis“ nicht nur um körperliche Schmerzen bei der Geburt, sondern um die ganze Spannbreite der Angst, Mühsal und Unsicherheit von Kinderwunsch, Schwangerschaft und Geburt. Der Sündenfall verstärkt diese existenziellen Ängste – er schafft sie nicht erst neu.
Die Bestrafung des Mannes
IN DEN VERSEN 17–19 sehen wir uns erneut mit einem Fluch konfrontiert, diesmal gerichtet gegen den Erdboden. Was bedeutet es, dass der Erdboden verflucht ist? Die hier verwendete Verbalwurzel (ʾrr) wird als das Gegenteil von segnen (brk) erkannt. Jemanden zu segnen bedeutet, diese Person unter Gottes Schutz zu stellen und sich an Gottes Gunst zu erfreuen. Verfluchen bedeutet, den Schutz und die Gunst Gottes zu entziehen. Es bedeutet nicht, etwas zu verhexen oder seinen Charakter oder seine Natur durch magische oder mystische Mittel zu verändern. Es bedeutet nicht, etwas zu bezaubern oder zu verhexen. Eines der deutlichsten Beispiele findet sich in Davids Rede an Saul in 1. Samuel 26,19. Wenn Menschen Saul gegen David aufgehetzt haben, erklärt David sie für „verflucht“ (d. h. des göttlichen Wohlwollens, Segens und Schutzes beraubt), weil sie ihn des göttlichen Wohlwollens (Anteil am Erbe des Herrn) und Schutzes (seiner Gegenwart) beraubt und ihn dadurch zu anderen Göttern geschickt haben, um Schutz und Gunst zu finden.
Im Deutschen lässt sich ʾrr am besten mit dem Wort „verdammen“ wiedergeben. Es wünscht einer Person, für immer aus Gottes Schutz, Gunst und Gegenwart entfernt zu sein. Weil dem Ackerboden Gottes Gunst, Schutz und Segen entzogen sind, wird er seine Erträge nur durch harte Arbeit hervorbringen. Das Wort, das die Neue Internationale Version (NIV) mit „mühselige Arbeit“ übersetzt, ist dasselbe Wort, das in der ersten Zeile von 3,16 verwendet wird („Schmerzen“), das oben als „Qual“ interpretiert wurde. Die Auswirkung dieses Fluches ist, dass den Menschen zwar weiterhin Nahrung zur Verfügung steht, es aber viel schwieriger sein wird, sie zu produzieren.
Genesis (The NIV Application Commentary), zu Gen 3,17-19 (dt. Übersetzung DeepL)
Kurz gesagt: Der „Fluch“ über den Erdboden bedeutet nicht, dass Gott die Schöpfung magisch verändert, sondern dass er seinen besonderen Schutz und Segen zurückzieht. Der Boden bringt weiterhin Nahrung hervor, aber nur noch unter Mühsal und harter Arbeit – ein Zeichen dafür, dass der Mensch die Folgen der Sünde jetzt existenziell spürt.
Soweit mein Versuch, die biblische Schöpfungsgeschichte in den Kontext von naturwissenschaftlich möglichen Ereignissen zu bringen, ohne die christliche Heilsgeschichte zu verwässern.
Das bedeutet aber auch: Nach dieser Hypothese gab es hier auf Erden wohl kein Paradies im Sinne eines bereits vollkommen himmlischen Zustands ohne Leid, Krankheit und Tod – jedenfalls nicht so, wie ich mir das früher vorgestellt habe.
Sehr wohl aber spricht die Kirche von einem besonderen Gnadenzustand der ersten Menschen: einer ursprünglichen Gemeinschaft mit Gott, einem inneren Einklang, der durch die Sünde zerbrochen wurde. Dieser geistliche ‚Paradieszustand‘ ist nicht identisch mit einer physikalisch perfekten Welt ohne Tod – aber er meint eine reale innere Nähe zu Gott, die wir heute nur bruchstückhaft kennen.
Oder anders ausgedrückt: Die Bibel spricht beim Sündenfall nicht davon, dass zum ersten Mal ein biologischer Organismus stirbt, sondern davon, dass der Mensch seine ursprüngliche Gottesgemeinschaft verliert und den Tod nun als existenzielles Getrenntsein, Angst und Verlorenheit erlebt.
Das zukünftige himmlische Paradies hat Jesus Christus jedoch durch sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung bereits für uns eröffnet. Diese Hoffnung trägt uns Christen: Sie gibt Kraft, die Widrigkeiten dieses irdischen Lebens zu ertragen, weil wir wissen, dass Gott uns nicht fallen lässt und wir eines Tages zur ersehnten Glückseligkeit gelangen können.
In aller Kürze:
- Die Naturwissenschaft schließt eine wörtliche 6-Tage-Schöpfung und eine junge Erde aus.
- Die biblischen Schöpfungstexte wollen keine Naturwissenschaft sein, sondern theologische Wahrheit in symbolischer Sprache sagen.
- Nach Spitzer ist es möglich, Evolution ernst zu nehmen und gleichzeitig an einen realen Sündenfall und erste „beseelte“ Menschen zu glauben.
- Das Paradies ist weniger ein physischer Garten ohne Schmerz, sondern ein ursprünglicher Gnadenzustand in Gemeinschaft mit Gott – den Christus für uns in vollendeter Form neu eröffnet.
Quellen/Literatur:
- Im Anfang schuf Gott (Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.)
- Science, Reason, and Faith (Fr Robert Spitzer)
- Genesis (The NIV Application Commentary, Walton)
- Schöpfung und Evolution? (Drossel, Junker, Scherer)
- The NET Bible
Hinweis: Dieser Artikel und das Titelbild wurden mit Unterstützung einer KI erstellt.
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