Nach dem Kapitel “Vom Wesen des Martyriums” folgt heute das neunte Kapitel aus dem Abschnitt „Die Kirche und die römische Staatsgewalt“ aus dem Buch “Geschichte der Kirche Christi” von DDr. Johannes Schuck aus dem Jahr 1938 (Echter Verlag):

„Die ganze Menschenmenge“, heißt es in dem Bericht über das Martyrium des heiligen Polykarp, „wunderte sich über den großen Unterschied, der zwischen den Ungläubigen und den Auserwählten ist.“ „Die Schmach derjenigen“,sagt der heilige Irenäus, „die Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen,alle Qualen erdulden und dem Tod sich hingeben aus Liebe zu Gott und wegen des Bekenntnisses seines Sohnes, hält die Kirche allein in voller Reinheit aus, oft geschwächt, aber sofort wieder die Glieder mehrend.” Ja, die Kirche hat das Bewußtsein, daß sie außer der Hilfe Gottes den Märtyrern ihren Weiterbestand zu verdanken hatte; dessen wurde sie sich besonders dann bewußt,wenn sich aus der heidnischen Volksmasse, die rasend nach dem Tod der Christen schrie, plötzlich der eine oder der andere Zuschauer loslöste und, von einer besonderen Gnade geführt und gestützt, in die Arena sprang und rief: „Auch ich bin ein Christ” und zugleich mit den anderen Christen in den Tod ging.Zahlreicher waren natürlich noch die Fälle, in denen von den christlichen Märtyrern eine werbende Wirkung in der Weise ausging, daß heidnische Zuschauer das Bild der sterbenden Gottesstreiter nicht mehr von ihrer Seele losbrachten, es grübelnd und sinnend mit sich herum trugen und keine Ruhe mehr fanden, bis sieselbst Christen wurden. Die Überzeugung der Christen, in dem Märtyrium eine unvergängliche Quelle neuen Zustroms zu besitzen, faßte der Kirchenschriftsteller Tertullian in die bekannten Worte: „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Christen.”

Während so das Christentum sich ausbreitete und innerlich erstarkte, wurde das einst so feste Gefüge des römischen Reiches langsam schwächer. Die Anzeichen dafür konnte man kaum übersehen. Im Osten und Westen waren die Reichsgrenzen manchen Anstürmen ausgesetzt; am bedenklichsten und gefährlichsten waren die aufrührerischen und feindseligen Bewegungen, die fast gleichzeitig an der Donau und am Rhein entstanden. Hungersnot, Seuchen, Überschwemmungen und Erdbeben versetzten, auch wenn sie örtlich begrenzt waren, das Reich in eine geheime Unruhe. Die heidnischen Volksmassen machten wiederum die Christen dafür verantwortlich. So ist es zu erklären, daß unter dem Nachfolger des Antoninus Pius, dem Kaiser Marc Aurel (161—180), die Verfolgungen wieder heftiger wurden.

Die Christen, äußerlich wehrlos, suchten sich zwar mit den Waffen des Geistes zu verteidigen. Schon unter Antoninus Pius waren von mehreren christlichen Gelehrten sogenannte Schutzschriften an den Kaiser gerichtet worden; dem Kaiser Marc Aurel übersandte jetzt Bischof Melitto von Sardes eine Schrift, worin er mit der Versicherung treuer Hingabe an den Kaiser ihn auf die wilden Zustände aufmerksam machte, die sich besonders im Osten herausgebildet hatten und den Christen unsägliche Bedrückungen und Leiden brachten. „Auf unerhörte Weise”, schreibt er, „wird das Geschlecht der Gottesfürchtigen durch neue, für Asien erlassene Gesetze aufgescheucht und verfolgt. Freche Angeber und nach fremden Gütern gierige Menschen benützen die Erlasse, um offen auf Raub auszugehen und solche, die nichts Böses getan haben, Tag und Nacht auszuplündern. Geschieht dies auf deinen Befehl hin”, so fährt der Bischof fort, „dann soll es recht sein! Denn ein gerechter Fürst” damit sucht er den Kaiser zu gewinnen — „wird niemals ungerechte Verordnungen erlassen. Und gerne nehmen wir die Ehre eines solchen Todes hin. Doch tragen wir dir die eine Bitte vor, daß du zuvor diese als Aufwiegler hingestellten Christen kennenlernst und dann erst urteilst, ob sie die Todesstrafe oder ein ruhiges Leben verdienen. Wenn aber der Erlaß und diese neue Verordnung, die man nicht einmal gegen barbarische Völker anwenden sollte, nicht von dir ausgegangen sind, dann bitten wir dich um so inständiger, du mögest uns, die wir ja offen beraubt werden, nicht im Stiche lassen” (Euseb. Kgsch. 4, 26).

Aber der Kaiser erfüllte die Erwartung des Bischofs nicht. —Alle Schutzschriften hatten überhaupt wenig Erfolg. Wohl entkräfteten sie die drei großen Anklagen, die im Heidentum gegen die Christen gang und gäbe waren, und legten klar, daß die Christen deswegen, weil sie die heidnischen Götter ablehnten, nicht gottlos seien, wie gegen sie ausgesprengt wurde; sie seien vielmehr der Träger des wahren Gottesglaubens. Die Schutzschriften zeigten dann auf, wie unsinnig die Gerüchte über die heimliche Unsittlichkeit der Christen seien; sie brauchten dabei nur auf ihren heiligen Lebenswandel hinzuweisen. Auch staatsfeindlich seien die Christen. Was immer mit Fug und Recht von ihnen verlangt werden könne, das erfüllten sie in aller Treue; nur solle man ihnen die Gewissensfreiheit lassen. Darüber hinaus legten die Schutzschriften dar, wie töricht der heidnische Götterglaube und wie unsittlich seine Göttergestalten seien.

Die Feder war aber keine wirksame Waffe, weder dem Kaiser gegenüber, noch gegenüber dem Geschrei des Volkes. Es erschien vielmehr eine Verordnung, die den Christenfeinden eine neue willkommene Handhabe bot; es sollten nämlich diejenigen auf eine Insel verbannt werden, die, so hieß es, „etwas tun, wodurch den beweglichen Gütern der Menschen eine abergläubische Furcht vor der Gottheit eingeflößt werden könne”, und auch das alte Verbot, wonach von Sklaven keine Geständnisse gegen ihren Herrn erpreßt werden durften, brauche nach dieser Verordnung den Christen gegenüber nicht gehalten zu werden.

Unter den Verfolgungen, die während der Regierung des Kaisers Marc Aurel einsetzten, war besonders heftig die Verfolgung in Südfrankreich Sie begann damit, daß bei der großen Messe, die im August 177 zu Lyon gehalten wurde, die heidnischen Volksmassen gegen die Christen schrien und in Abwesenheit des Statthalters sofort Verhaftungen vorgenommen wurden. Alle Bemühungen, dem zurückgekehrten Statthalter klar zu machen, daß die Christen weder Religions- noch Majestätsverbrecher seien, schlugen fehl. Folter und Marter setzten so heftig und grausam ein, daß sogar zehn Christen von ihrem Glauben abfielen. Alle Christen von irgendwelcher Stellung und Bedeutung wurden in das Gefängnis geworfen, auch diejenigen wieder, die den Herrn verleugnet hatten, und die Stadt erlebte Greuel, die zu den schlimmsten in der ganzen Geschichte der Verfolgungen gehören.

Die überragenden Helden in diesem Kampfe waren die Heiligen Marturus, Sanctus, Attalus, der fünfzehnjährige Pontikus und die über allen Preis erhabene heilige Blandina. Über ihre Marter haben wir einen Bericht von Augenzeugen; er gibt uns auch die Erklärung dafür, wie ein Mensch diese unsäglichen Marterqualen ertragen konnte. „Nachdem Blandina gegeißelt worden war”, so heißt es, „den wilden Tieren vorgeworfen, und von ihnen zerfetzt, immer noch lebend, auf einen glühenden eisernen Stuhl zum Rösten gesetzt worden, steckte man sie zulegt in ein Netz und warf sie einem Stier vor. Als sie von dem Stiere wiederholt emporgeschleudert worden war, wofür sie infolge ihrer unerschütterlichen Hoffnung auf das, was sie glaubte und infolge ihres Verkehrs mit Christus gar kein Empfinden mehr hatte, wurde auch sie getötet.”

Die Christen atmeten auf, als auf Marc Aurel dessen Sohn Commodus als Kaiser folgte und die Befehle und das Wüten gegen die Christen aufhörten.Zwar nicht überall gleichzeitig; manche Statthalter verfolgten auch jetzt noch Christen und zum ersten mal floß jetzt in Afrika Christenblut. Immerhin konnte der Kirchenschriftsteller Eusebius die Lage der Christen unter dem Kaiser Commodus mit den Worten zeichnen: „Unsere Verhältnisse wurden ruhiger und durch die Gnade Gottes erhielten die Kirchen des ganzen Erdkreises Frieden. Und so führte das Wort des Heiles Seele um Seele aus allen Geschlechtern zur frommen Verehrung Gottes, so daß selbst mehrere von denen, die in Rom durch ihren Reichtum und ihre Abstammung höchstes Ansehen genossen, mit ihrem ganzen Haus und ihrer ganzen Verwandtschaft den Weg des Heils beschritten” (Euseb.Kgsch. 5, 21). Sogar Irenäus, der Bischof von Lyon, stellte um das Jahr 185 fest: „Die Welt hat durch die Römer Frieden und wir Christen wandeln ohne Furcht auf den Straßen und fahren zur See, wohin wir wollen.” Daß es doch immer so geblieben wäre!

Fortsetzung folgt mit dem Kap. “Lehrer und Irrlehrer“.