Mich hat schon immer beschäftigt wie es im sogenannten Dritten Reich möglich war, dass sich ein ganzes Volk zu so unvorstellbaren Verbrechen verführen lassen konnte. Techniken wie man ganz normale Menschen unter die eigene Kontrolle bringt und das sogar auch ohne körperlichen Zwang funktionieren leider auch heute noch.

Ich sage das aus meiner eigenen persönlichen Erfahrung. In einer Freikirche habe ich erlebt wie sogar sehr intelligente Menschen “freiwillig” in einer Gemeinschaft zusammen blieben, obwohl sie dort regelmäßig emotional verletzt, erniedrigt und regelrecht krank gemacht wurden. Freiwillig in Anführungszeichen, da die Menschen vielfach getäuscht und manipuliert wurden.
Wie funktioniert nun Manipulation und Missbrauch und wie kann man sich davor schützen?
Menschen werden vor allem durch ausgefeilte Rhetorik mit Verdrehung der Wahrheit in eine missbräuchliche Abhängigkeit gebracht. Gravierende Vorfälle werden verharmlost, Täter und Opfer vertauscht (auf einmal muss man die Täter statt die Opfer schützen), falsche Schlussfolgerungen gezogen, Kritiker diskreditiert und Zweifel praktisch verboten oder zumindest lächerlich gemacht.

Hierzu ein Beispiel aus meiner Erfahrung:
Es wird gesagt “Wir sind alle Sünder!” und hinzugefügt “Jeder macht Fehler. Man muss auch vergeben können!”. Klingt richtig (zumindest wenn man gläubig ist),  ist es aber nicht in allen Fällen. Vor allem dann nicht, wenn das einer sagt, der zumindest früher als Leiter einer christlichen Gemeinde regelmäßig andere Mitchristen durch einen autoritären Leitungsstil verletzt hat und immer noch manipulierende Predigten hält.

Was ist also falsch an obiger Aussage?

Sünde ist nicht gleich Sünde. Es gibt gravierende und weniger gravierende Sünden. Es gibt unabsichtliche und grob fahrlässige Sünden. Es gibt Sünden, die nur wenigen Menschen schaden und welche die vielen Schaden. Je nach Art der Sünde muss unterschiedlich damit umgegangen werden. Was subtil mit der Aussage “Wir sind alle Sünder” in missbräuchlichen christlichen Gemeinden (zwischen den Zeilen) ausgesagt wird ist: “Das ist alles ganz normal hier. Du dramatisiert und nachhaltig ändern kann man das sowieso nicht. Fehler kann man nicht verhindern.”  Falsch! Eine Gemeinde mit manipulierenden Leitern ist weder normal noch tolerierbar. Und man kann Manipulation und Missbrauch verhindern und damit die Opfer schützen, wenn man wirklich will.
Und wie? Z. B. indem man Menschen mit manipulierender Art, keine Leitungsfunktionen mehr übernehmen lässt, egal wie sie sonst “talentiert” sind.

Aber man muss doch vergeben können wird dann oft gesagt. Richtig, aber das heißt noch lange nicht, dass ich den Missbrauch nicht stoppen darf. Und ich darf auch Wiedergutmachung erwarten. Vergebung heißt nicht, dass es keine Konsequenzen für den Täter geben darf oder geben muss. Das wird leider oft verdreht.

Wie kann man sich nun vor Manipulation und Missbrauch schützen?
Ehrlich gesagt ist das meines Erachtens überhaupt nicht so einfach. Die Lösung ist ja nicht, dass man fortan allen Menschen misstraut und sich auf keine Gemeinschaft mehr einlässt. Die Manipulation ist meist so subtil und raffiniert, dass es oft extrem schwer ist sie zu bemerken und noch schwieriger sie zu “beweisen”. Vor allem natürlich auch für Kinder.

Ich denke aber, dass man die inneren Konflikte und die “schlechten Gefühle” bei Missbrauch emotional wahrnehmen kann. Diese Gefühle sollte man dann nicht ignorieren, verdrängen, sich verbieten oder gar ausreden lassen. Jeder Mensch hat ein Recht, auch mal Zweifel gegenüber den Aussagen anderer zu haben und diese unabhängig zu prüfen oder prüfen zu lassen. Niemand darf einem vorschreiben wollen, wem man zu vertrauen hat. Es ist keine Form eines sündhaften Unglaubens oder Unvertrauens (wie oft durch manipulierenden Christen behauptet wird), wenn man den Aussagen anderer misstraut. Vertrauen darf nicht eingefordert werden, sondern muss sich auch verdient werden.

Menschen in missbräuchlichen Gemeinschaften brauchen Hilfe, auch wenn sie es selbst nicht realisieren. Und leider ist es aber sehr schwer von außen zu helfen, da sich das verdrehte Denken der manipulierten Menschen meist schon sehr tief festgesetzt hat. Aber dann kann man ja immerhin noch für sie beten…